Radioen

On air

Notturno  |  Blake Mills - Skeleton Is Walking

play_arrow Live
arrow_back_ios

100komma7.lu

100komma7.lu

/ Wollen wir glücklich sein?

Seismograph

Wollen wir glücklich sein?

Glück scheint das große Leitmotiv unseres Lebens zu sein. Ob nun auf der Arbeit, im unserer Beziehung oder in der Familie: die Suche nach dem Glück treibt uns an. Aber können wir dieses Glück überhaupt erreichen? Und was tun wir mit dem Glück, wenn wir es endlich haben?

auto_stories

5 min

Lukas Held. Foto: Archiv

Warum sitzen wir gerade hier? Warum tun wir all die Dinge, die wir jeden Tag tun? Warum rackern sich SchülerInnen für ein Diplom und Erwachsene auf ihrer jeweiligen Arbeit ab?

Warum gehen wir ins Kino, in Cafés, warum bestellen wir uns Essen nach Hause, warum betreiben wir Hobbies, warum suchen wir uns Partner und Partnerinnen und gründen Familien? Warum tun wir das alles? Wir tun es, weil wir glücklich sein wollen.

Eudaimonia

Der antike griechische Philosoph Aristoteles war eben dieser Meinung. Er meinte, dass alles, was wir tun, auf ein Ziel, ein sogenanntes telos ausgerichtet ist. Alles was wir tun, hat ein Ziel, und jedes Ziel ist ein Gut, d.h. ein Zweck, der für uns etwas Gutes ist.

Nun gibt es natürlich viele verschiedene Ziele. Das Ziel des Kochs ist es, ein gutes Essen zu machen. Das Ziel der Erzieherin ist es, ihre Kinder gut zu erziehen. Dein und mein Ziel ist es gerade, eine gute Sendung zu machen, in welcher wir Philosophie verständlich machen.

Aber bei alldem gibt es da noch das oberste Ziel, das, woraufhin mein ganzes Tun und Handeln strebt. Für Aristoteles ist dieses oberste Ziel das Glück oder die Glückseligkeit - er nennt das eudaimonia. Glück sucht man schließlich immer immer an und für sich.

Das bedeutet: nicht als Mittel zum Zweck, sondern allein um des Glücks willen. Und eben diese Ansicht, derzufolge das Glück das oberste Ziel unseres Handelns und das höchste aller Güter sei, die hat die Geschichte des Denkens maßgeblich geprägt. Denk nur einmal an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776, geschrieben von Thomas Jefferson. Der erste Satz lautet folgendermaßen:

"We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness."

Für den amerikanischen Gründervater Jefferson ist die Suche nach Glück - diese pursuit of Happiness - also ein "unalienable Right", eine Art Naturrecht, ein Streben, das jedem Menschen inhärent ist.

Happykratie

Allerdings scheint es so, als ob heutzutage aus dieser Pursuit eine Obligation geworden ist. In vielen großen Firmen gibt es neben den CEOs auch sogenannten CHOs, chief happiness officers, also sozusagen Glücksbeauftragte. Deren Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass die MitarbeiterInnen glücklich sind bei der Arbeit, dass sie "resilient" bleiben, dass sie motiviert und engagiert sind und bei alldem Glück empfinden.

Diese CHOs sind der Versuch, all die negativen Empfindungen, die man für die und bei der Arbeit empfindet, verschwinden zu lassen. Dasselbe geschieht übrigens an den Schulen, wo versucht wird, mit sogenannten Well-Being-Kurse den SchülerInnen ihre negativen Empfindungen zu nehmen und ihnen beizubringen glücklich zu sein. Das ist nicht per se schlecht.

Nur gehören Unglück und Glück natürlich zusammen und wenn negative Emotionen als etwas zu Heilendes, als etwas zu Bekämpfendes oder Pathologisches angesehen werden, dann ist das schon problematisch. Die Soziologin Eva Illouz hat das einmal die Happykratie genannt - die Verpflichtung, glücklich zu sein und für sein eigenes Glück Verantwortung zu tragen.

Damit einher geht allerdings, dass negative Emotionen wie Frust, Gereiztheit und Trauer pathologisiert werden. Und wenn man sich die Realität ansieht, dann muss man zugeben, dass wir tatsächlich und meistens nicht glücklich sind. Wir denken zwar sehr oft darüber nach, wie wir glücklich werden könnten - aber wir sind es nicht so sehr, wie wir es vielleicht sein möchten.

Glück ist nicht vorgesehen

Die Psychoanalyse bietet uns ein differenziertes Bild dieser Glückssuche. In dem sehr schönen Lesebuch 365 x Freud - in dem jeden Tag eine kleine kommentierte Passage aus Freuds Werk zu lesen ist ...- las ich kürzlich diesen schönen Satz Freuds : "Die Absicht, dass der Mensch 'glücklich' sei, ist im Plan der 'Schöpfung' nicht enthalten."

Freud deutet damit an, dass wir Menschen vielleicht gar nicht dazu gemacht sind, dauerhaft glücklich zu sein. Kurz gesagt: wir Menschen sind nicht dazu bestimmt, glücklich zu sein und werden es vielleicht nie wirklich sein.

Der technische Fortschritt hat unser Leben in vielen Hinsichten erleichtert - aber hat er uns wirklich glücklicher gemacht? Wir leben in der technologisch fortschrittlichsten Phase der Menschheit, zudem in einem der wohlhabendsten Länder der Welt. Aber all das scheint irgendwie keine Garantie für ein glückliches Leben zu sein.

Wollen wir glücklich sein?

Vielleicht muss man die Frage anders formulieren: Wollen wir überhaupt glücklich sein? Oder anders gefragt: Ist die Suche nach Glück wirklich das, was uns im Leben antreibt, was uns motiviert, morgens aufzustehen und die Dinge zu tun, die wir tun?

Wissen wir überhaupt, was wir für unser Glück brauchen? Die einen sagen: wenn ich pensioniert bin, dann werde ich glücklich. Die anderen sagen: wenn ich mit jemand anderem zusammen wäre, dann wäre ich glücklich. Oder diesen anderen Job hätte, usw.

Aber wissen wir eigentlich, was uns glücklich macht? Sind wir glücklich, wenn wir das haben, nach dem es uns verlangt? Denken wir noch einmal an Thomas Jeffersons the pursuit of happiness.

Was uns glücklich macht, ist nicht das Erreichen des Glücks, sondern das ständige Streben danach. Das Glück des Menschen liegt in der Einsicht, dass wir es nie haben können, und dennoch alles dafür tun, es zu erreichen.