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Seismograph

Meme

Während das Meme seinen Betrachter in eine totale Passivität drängt, ruft der Witz dazu auf, nacherzählt zu werden. Der Witz existiert schließlich nur so lange, wie er erzählt wird.

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3 min

Der Philosoph Lukas Held. Foto: Archiv

Vielleicht als kurze Erklärung für alle, die jetzt nicht wissen, was das ist: ein Meme ist nach Textbuchdefinition "eine kleine kulturelle Einheit, die durch Kopie oder Imitation von Mensch zu Mensch weitergegeben wird". Konkret handelt es sich meist um witzige Bilder oder Videos, die digital verbreitet werden, manchmal viral gehen und vor allem um ihrer Wiedererkennbarkeit wegen immer wieder aufgegriffen und neu gestaltet werden. Wohl jeder und jede von uns hat bereits ein Meme gesehen oder verschickt, vielleicht ohne zu wissen, dass es sich um ein Meme handelte.

Man kennt die folgende Situation: man sitzt in einer Gruppe, zum Beispiel mit Freunden, man erzählt und lacht und hat es gut, da kramt auf einmal jemand sein Handy raus und zeigt... ein Meme. Nun glotzen alle doof auf den Bildschirm - und damit hat es sich. Das Gespräch ist unterbrochen und muss neu aufgegriffen werden, weil auf das Meme kein Gespräch folgt. Dasselbe gilt für all die Memes, die man tagtäglich versendet. Man kriegt das Bild oder Video, lacht vielleicht ein wenig (meistens aber eher nicht), schickt es 3 Leuten weiter, kriegt vielleicht ein Zwinkersmiley zurück.

Ein vorhersehbarer Humor-Rahmen

Das Meme, genügt sich selbst, macht nichts anderes als einfach kurz in meinem Bewusstsein zu existieren - und dann genau so schnell wieder zu verschwinden. Es denkt ja ehrlich gesagt niemand noch abends an die Memes, die man morgens verschickt hat. Geschweige denn an die, die man vom Kollegen, Kumpel oder Schwiegervater im Laufe des Tags bekommen hat. Eigentlich sind Memes die Fast-Food-Sektion des Humors: sie sind schnell produziert, schnell konsumiert und auf Massenverzehr angelegt. Und ebenso, wie man zum McDonalds geht, weil man gerade eben nicht überrascht werden will, so bewegen sich Memes auch immer in einem vorgegebenen Humor-Rahmen, in einem bekannten Schema und mit bekannten Codes.

An sich ist das nicht problematisch, und ehrlich gesagt, mea culpa, verbringe ich selbst viel zu viel Zeit auf Memehubs. Dem Meme wohnt auch eine eigene Kreativität inne, die man nicht verleugnen kann. Mir scheint nur, dass das Meme langsam aber sicher den Witz, also die erzählte Geschichte, verdrängt hat - ja ich befürchte ehrlich gesagt, dass der erzählte Witz langsam ausstirbt. Mir begegnen Witze aktuell nur mehr in Video-Form. Was dabei aber auf der Strecke bleibt, ist der so wichtige Akt des Nacherzählens, mit dem man sich den Witz aneignet und wodurch er erst seine couleur bekommt. Denn während das Meme seinen Betrachter in eine totale Passivität drängt, ruft der Witz hingegen dazu auf, nacherzählt zu werden. Der Witz existiert schließlich nur so lange, wie er erzählt wird. Heute werden Witze aber nicht mehr erzählt, sondern in kopierter Videoform verschickt.

Die Persönlichkeit eines Witzes

Im Verschwinden des Witzes zugunsten des Memes deutet sich noch eine andere Problematik an: nämlich die Effizienz des Bildes gegenüber der Langsamkeit des Wortes. Memes sind ja meist Bilder und Videos, Witze hingegen sind erzählte Geschichten, also Worte. Gesehene Bilder gehen leichter in den Geist als gehörte Worte, denn Bilder überzeugen. Der Sehsinn ist ja der direkteste unserer fünf Sinne - und was wir sehen sickert ziemlich ungefiltert in unser Bewusstsein. Beim Hören ist das komplizierter - und die Sprache deutet es an: man kann zwar schwer hören, aber man kann nicht "schwer sehen". Man steht dem Bild also immer etwas ohnmächtig gegenüber. Das Wort ist immer das eigene Wort, während das Bild immer allen gehört... und deshalb auch niemandem. Einen Witz kann man variieren, abschwächen oder verschärfen, man kann ihm Individualität verleihen, ihn sich zu eigen machen. Das Meme hingegen kann man nur mit minimalen Variationen versehen, aber sich niemals wirklich aneignen. Tout ça pour dire... erzählt mehr Witze.