Wer schon einmal im Rayon "Psychologie & Ratgeber" einer beliebigen Buchhandlung war, der weiß, dass es unzählige Bücher zum Thema "Glück" gibt. Die Suche nach dem Glück - es scheint, dass sie uns Menschen heute genauso beschäftigt wie zur Zeit der alten Griechen (und wahrscheinlich auch schon davor). Denn nichts ist menschlicher als der Wille, ein glückliches Leben zu führen. Und damals wie heute sind wir uns nicht wirklich einig darüber, was das Glück denn eigentlich ist und wie bzw. wo man es findet. Ist das Glück nun etwas, das jeder für sich selbst finden muss oder vielleicht doch etwas, das allen Menschen gemeinsam ist? Liegt es in der Askese und im Verzicht, oder vielmehr im Genuss und Überfluss? Das sind alles tiefgründige philosophische Fragen. Bei allem Dissens scheint aber irgendwie fest zu stehen, dass das Glück nicht dasselbe ist wie die Freude.
hédoné
Tatsächlich spricht man im Falle von Freude eher von kurzfristigen Genüssen, während das Glück irgendwie etwas langfristiges zu sein scheint. Freuden, die genießt man im Moment selbst, während das Glück ein dauerhafter Zustand zu sein scheint. Das Griechische unterscheidet hier zwischen hedoné (den Freuden) und eudaimonia. Es ist leicht einzusehen, wie man sich Freude machen kann: Freude ist alles, was mir gut tut. Das kann ein Restaurantbesuch sein, dass kann Sex sein, das kann ein neues Auto, ein Urlaub oder neue Schuhe - sprich: alles was mich erfreut. Aber ich würde die Freude nicht nur mit Sex, Drugs and Rock n' Roll umschreiben, sondern auch das Gefühl von Sicherheit oder von Stabilität, wie man es vielleicht (vielleicht!) am Ende des Monats beim Blick auf den Gehaltszettel verspürt - oder beim Gang durch eine Innenstadt. Das Problem mit den Freuden ist - wie jeder weiß -, dass sie schnell verfliegen, weshalb wir nicht genug von ihr bekommen können. Letztlich ist Freude das, was uns das Kapital verkaufen will, was die Massenmedien propagieren und was die Politik uns verspricht - vor allem im Wahlkampf.
eudaimonia
Das Wort eudaimonia ist etwas schwerer zu übersetzen. Das griechische "eu-daimon" bedeutet ungefähr "von einem guten Geist begleitet". Es bezeichnet einen stabilen Zustand der Glückseligkeit - also eben nicht das, was man als "Glück haben" bezeichnet, was ja instabil ist. Eben genau darum geht es in diesem Begriff der eudaimonia: unabhängig werden von der Wechselhaftigkeit und Veränderlichkeit des Lebens. Heute würde man vielleicht tatsächlich von einem konsequenten Leben sprechen, d.h. einem Leben, das auf Prinzipien basiert, denen man folgt, weil sie vernünftig sind und die einen durch die Wechsel des Lebens tragen. Aristoteles nennt das die Tugenden - aber das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist zu verstehen, dass die eudaimonia sich nur in der alltäglichen praxis erreichen lässt, dass sie etwas dynamisches ist. Man hat sie nicht ein für allemal, sondern man muss jeden Tag versuchen, ein Leben zu leben, von dem man hernach Rechenschaft ablegen kann. Und man kann Rechenschaft ablegen, weil man weiß, dass sich in diesem Leben trotz aller Wechsel irgendetwas durchgehalten hat - eine Art Bedeutsamkeit.
Psychological richness
Ist das nun das Rezept für ein gutes Leben? Eben das steht zur Debatte, denn in einer rezenten Studie schlagen zwei amerikanische Psychologie-Professoren neben der Freude und der Bedeutsamkeit, neben hedoné und eudaimonia noch eine dritte Kategorie vor, die relevant ist für die Frage nach dem guten Leben, nämlich das was sie "psychological richness", also "psychologischen Reichtum" nennen. Die ForscherInnen Shige Oishi und Erin Westgate definieren psychologischen Reichtum als eine Ansammlung interessanter und anregender Erfahrungen, im Laufe derer man einen Perspektivenwechsel durchlebt. Das bedeutet Erfahrungen, die uns herausfordern, die konventionelle Sichtweisen sprengen, die allgemein etwas aufbrechen und verändern. Man denke z.B. an die eine Reise (und ich sage bewusst Reise, und nicht Urlaub), die einem eine neue Sicht auf die Welt eröffnet hat. Oder die Begegnung mit Menschen, die einen vielleicht aus der Komfort-Zone bugsiert haben, was sich im Nachhinein aber als wertvoll herausgestellt hat. Oder an eine erschreckende oder schockierende Erfahrung, die einen maßgeblich verändert hat. Denn - und das ist wichtig - psychologischer Reichtum kommt nicht nur durch positive, sondern auch durch negative Erfahrungen. Und das zeigt: Glück und Bedeutsamkeit allein reichen nicht, um ein gutes Leben zu führen. Es sollte auch das Element der Herausforderung dazukommen. So meinen es zumindest die beiden ForscherInnen.
Freude & Bedeutsamkeit & Herausforderungen
Ich persönlich finde das Konzept interessant, da es tatsächlich eine Lücke schließt, um z.B. zu verstehen, warum junge Leute die Strapazen einer Weltreise inklusive Hostel-Sammel-Dortoirs auf sich nehmen, warum Menschen sich in ihre Arbeit stürzen, obwohl sie ihnen nicht immer Freude bereitet und das, was sie tun, auch nicht sonderlich bedeutsam ist. Es erklärt vielleicht auch das Phänomen der Mid-Life-Crisis, also der Rebellion gegen die Kleinfamilien-Idylle, der es an Herausforderungen fehlt. Es erweitert unsere Sicht auf das, was zählt im Leben. Aber letztlich liegt der Ball immer im eigenen Feld und man muss selbst entscheiden, worauf man den Akzent lebt. Ich wünsche jedem, dass er oder sie am Ende sagen kann, dass es gut war.