Radioen

On air

Notturno  |  Kate NV - Plans

play_arrow Live
arrow_back_ios

100komma7.lu

100komma7.lu

/ Warum haben wir ein Gewissen?

Seismograph

Warum haben wir ein Gewissen?

Wir alle haben eins, es kann entweder gut oder schlecht sein und es fühlt sich nicht gut an, wenn wir dagegen handeln: die Rede ist vom Gewissen. Warum haben wir Menschen eigentlich ein Gewissen und wie entsteht eigentlich unser Gewissen?

auto_stories

4 min

Firwat hu mir ee Gewëssen? Foto: Bigstock / Peach_BigStockPhoto

Der ewige Mitwisser

Das Wort "Gewissen" ist an sich ja schon bemerkenswert, vor allem wenn man dessen Übersetzung in anderen Sprachen betrachtet. Im Französischen spricht man ja von der "conscience" und im Englischen von der "conscience".

Was in diesen Sprachen deutlicher zum Vorschein kommt als im Deutschen (und als im Luxemburgischen), das ist die Verbindung zwischen dem Gewissen und dem Bewusstsein - auf Englisch und Französisch benutzt man dafür nämlich dasselbe Wort: conscience. Was bedeutet das?

Nun, es scheint so, als ob das Gewissen entsteht, sobald wir uns unserer Handlungen und Gedanken bewusst werden. Aber obwohl das Gewissen zu mir gehört, obwohl es etwas sehr persönliches ist, gehört es mir dennoch niemals ganz. Es scheint fast so, als ob in dem Moment in welchem wir unserer selbst bewusst werden, etwas oder vielleicht sogar jemand anderes in uns entsteht.

Das sieht man auch, wenn man das Wort noch einmal genauer betrachtet. Con-science, das Wort setzt sich zusammen aus dem lateinischen cum und scire und bedeutet wörtlich "Mit-Wissen". Das Gewissen ist also wörtlich genommen die Instanz, die immer schon mit-weiß; der Mitwisser.

Dämonen und schlechtes Gewissen

Das Gewissen ist der Andere in mir. Der Philosoph Sokrates sprach sogar von einem daimon, einem Dämon, also eine Art kleiner Gott, den er im Kopf habe. Diese Stimme spräche seit seiner Kindheit zu ihm und bewerte sein Handeln.

Und Sokrates sagt etwas ganz interessantes über diesen kleinen Dämon, nämlich dass diese Stimme ihm zwar von bestimmten Handlungen abrät, aber ihn niemals zu Handlungen drängt. Anders gesagt: das Gewissen ist für Sokrates nicht etwas, das uns antreibt, sondern eher etwas, das uns hemmt.

Nun mag man einwenden: aber wir tun doch sehr vieles eben aus einem schlechten Gewissen heraus. Damit bin ich einverstanden, und man muss Sokrates natürlich auch nicht in allem folgen. Aber ich stelle mir dennoch die Frage, ob wir das, was wir aus einem schlechten Gewissen heraus tun, auch wirklich genauso wollen, wie das, was wir aus einem guten Gewissen heraus tun.

Wenn ich einen Freund anrufe, weil ich ein schlechtes Gewissen habe mich schon so lange nicht mehr bei ihm gemeldet zu haben, dann ist das ja etwas anderes als wenn ich einen Freund anrufe, weil ich mich tatsächlich für sein Leben interessiere. Das Resultat ist in beiden Fällen dasselbe - ich melde mich -, aber die Motivation ist getrübt.

Ich finde das eine wichtige Frage, vor allem mit Blick auf die Aktualität. Stichwort Energiesparen: reicht es, dass wir uns und anderen ein schlechtes Gewissen über unseren Lebensstil machen, um unser Konsumverhalten zu ändern? Führt der Appell an das Gewissen wirklich zu einer dauerhaften Veränderung? Wie kann man schlechtes Gewissen in reines Gewissen verwandeln, wie kann man eine ehrliche Motivation kreieren?

Angeboren oder erlernt?

Bleibt noch die Frage, ob das Gewissen etwas angeborenes oder erlerntes ist. Es ist ja an sich schon bemerkenswert, dass alle Menschen ein Gewissen zu haben scheinen (außer jetzt totale Psychopathen, aber die Pathologie festigt immer die Normalität). Etwas daran muss ja angeboren sein!

Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau z.B. war der Meinung, dass das Gewissen ein universales Prinzip ist, das jedem Menschen sozusagen angeboren ist und in unseren Seelen begründet ist: "trop souvent la raison nous trompe [...] mais la conscience ne trompe jamais; [...] elle est à l'âme ce que l'instinct est au corps". Das Gewissen ist bei ihm also wirklich eine Art geistiger Instinkt.

Wir wissen instinktiv, was gut und was schlecht ist. Für Rousseau leitet das angeborene Gewissen den Menschen weg von den Irrwegen, auf denen die Vernunft sich manchmal bewegt. Andererseits ist das Gewissen aber auch kulturell und sozial bedingt.

Der französische Soziologe Emile Durkheim war deshalb der Meinung, dass diese kleine Stimme in unserem Kopf, die uns sagt, was gut und was schlecht ist, dass die Stimme tatsächlich die Stimme der Gesellschaft ist. Das zeigt, welche außergewöhnliche Autorität die Gesellschaft hat: wir verinnerlichen die sozialen Normen und Gesetze so stark, dass sie unsere eigenen Gedanken, unsere eigene Stimme werden.

Also bei Durkheim sieht man, dass es nichts universales oder angeborenes, sondern etwas erlerntes ist - ohne dass wir diesen Lernprozess mitbekämen. Aber ob nun erlernt oder nicht - das Gewissen ist ein extrem starkes Gefühl.

Ich würde sogar sagen, das Gewissen ist die Stimme unseres Körpers. Das verlieren wir oft aus den Augen, wenn wir über das Gewissen nachdenken. Wir verorten das Gewissen im Kopf, als ein Set von Geboten und Verboten. Aber ich denke, der Ort des Gewissens ist nicht der Kopf, sondern der Körper. Wir hören dem Gewissen nicht nur zu, wir spüren es auch. Sonst würden wir unserem Gewissen wohl kaum gehorchen.