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Seismograph

Diätetik

Mir hunn natierlech alleguer schonn eng Kéier vun enger Diät héieren oder esouguer scho selwer eng gemaach: meeschtens verzicht een da fir eng gewëss Zäit op Iessen oder ersetzt Ongesondes duerch Gesondes - mat méi oder manner iwwerzeegende Resultater. Dat huet vläicht och domat ze dinn, datt mir d'Diät meeschtens an hirem kierperleche Volet betruechten. U sech ass dat Wuert an déi Saach vill méi al a méi komplex, wéi mir mengen an huet souguer eng philosophesch Dimensioun.

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4 min

Dualismus Geist-Körper?

Der französische Aufklärer Denis Diderot schrieb einmal: "Bonne ou mauvaise santé fait notre philosophie". Damit meint er, dass das Denken - also eben die philosophie ein Teil des Körpers ist. Was und wie wir denken hängt davon ab, was und wie wir fühlen.

Heute wissen wir, wie wichtig der Verdauungstrakt für unsere Psyche ist - Darm mit Charme usw. Das ist ein rezenter Befund. Diderots Satz kann man schließlich auch als einen ironischen Seitenhieb auf seinen Landsmann René Descartes lesen. Der hatte ein Jahrhundert zuvor behauptet, der Mensch bestehe auf der einen Seite aus einem denkenden und auf der anderen Seite aus einem nur physisch anwesenden Teil. Beide Teile müsse man zudem strikt voneinander trennen.

Das Primat liege eindeutig beim Denken - den Körper dürfe man daher ruhig vernachlässigen. Das hat unsere Geistesgeschichte nachhaltig geprägt und so haben wir jahrhundertelang die Psyche mit dem Hirn und nicht mit dem Darm in Verbindung gebracht. Dieser klare cut, diese strikte Trennung zwischen Geist und Körper ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Philosophie - und insbesondere die antike Philosophie - sich immer darum bemüht hat, den Menschen als Ganzes zu denken. Und das erkennt man gut an dem Begriff der Diätetik.

Science et philosophie du régime

Vorab: es handelt sich nicht um die Ethik der Diät. Das Wort "Diät" leitet sich allerdings aus "Diätetik" ab bzw. ist dessen Abkürzung. Im ursprünglichen Sinne ist die Diätetik die "Lehre von der gesunden Lebensweise" oder auch "la science ou la philosophie du régime". Es ist interessant (und nicht ganz unschuldig), dass der Begriff "Philosophie" aus der heutigen Definition verschwunden ist (heute würde man nur noch sagen "science du régime").

Was in der Verkürzung zur "Diät" verloren gegangen ist, ist die Idee der Lebensführung, d.h. die Frage, in welchen Umständen die Person lebt und ob bzw. wie er oder sie sein Leben als Ganzes führt. Das muss die typische Magazin-Diät natürlich auch ausblenden, sonst könnte sie ihre Sache ja nicht verkaufen.

Denn seien wir ehrlich: wer will sich schon auf einen Prozess einlassen, bei dem man sich gründlich in Frage stellen muss? Wer will schon die eigenen Vorstellungen vom Leben überprüfen müssen? Eben um diese gründliche Infragestellung geht es aber in der antiken Diätetik, denn sie strebt einen dauerhaften Wandel an.

Ethik im Kleinen

Das hat nicht mehr viel mit den Magazin-Diäten zu tun, die dem Leben ja nur aufgepropft werden, nach dem Motto "Ich esse jetzt einen Monat lang nur Suppen". Die philosophische Diätetik ist viel mehr als das, und in diesem Sinne durchaus Teil der Ethik. Das Wort Ethik leitet sich von ethos her, was soviel wie "Gewohnheit" bedeutet.

Die Diätetik ist sozusagen die Ethik im Kleinen, denn sie will durch das Schaffen kleiner Gewohnheiten auf die große Sache hindeuten, nämlich auf eine allgemeine Vorstellung vom guten Leben. Und eben das meint man, wenn man von Lebensführung spricht, nämlich das alltägliche Handeln zum Spiegel des Lebens zu machen, d.h. zum Spiegel der Vorstellung, die man von einem guten und schönen Leben hat.

So gesehen gewinnt der diätetische Verzicht natürlich eine andere Dimension. Es ist etwas anderes auf etwas zu verzichten, weil man 5 Kilo abnehmen will um in eine Jeans zu passen, oder auf etwas zu verzichten, weil man die Idee von einem gelungenen und guten Leben realisieren möchte. Das eine ist rein egoistisch, es geht dabei nur um dich und deine Jeans. Das ist natürlich und leider der vorherrschende Trend.

Diätetik der Sinnerwartung

Bei der Diätetik hat man aber eine verallgemeinbare Idee des guten Lebens vor Augen, die du in und an dir selbst verwirklichen willst, die aber potentiell für alle Menschen gelten könnte. Richtig verstanden könnte das sogar den life-style nennen, aber eben nicht "meinen" Life-Style.

Ein Beispiel: Pythagoras und seine Schüler waren allesamt Vegetarier - aber nicht aus gesundheitlichen Gründen. Sie glaubten vielmehr dass die Gewalt, die man einem Tier antut, auf den Menschen zurückschlägt. Demnach sind Fleischesser selbst rohe Menschen - und deshalb schreibt Pythagoras: "Enthalte dich der beseelten Lebewesen". Aber Diätetik regelt nicht nur den materiellen sondern auch den geistigen Konsum, denn man kann sich auch an Gedanken krank essen - vor allem, wenn diese zu groß sind.

In einem kürzlich posthum erschienenen Büchlein plädiert der deutsche Philosoph Odo Marquard für eine ‌Diätetik der Sinnerwartung. Wir haben, so meint es Marquard, zu große Sinnansprüche an die Welt, die niemals erfüllt werden können und uns deshalb mit einem Gefühl von Sinnlosigkeit hinterlassen.

Ebenso wie ein zu großer Appetit nur ein Gefühl von Leere hinterlässt, so hinterlassen zu große Ansprüche ein Gefühl von Traurigkeit und Melancholie. Aber diese Idee der seelische Diätetik können die ZuhörerInnen gerne selbst entdecken, in dem kleinen Büchlein Zeitalter der Weltfremdheit, von Odo Marquard, erschienen im Reclam-Verlag.