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Seismograph

Müssen wir uns erinnern?

Et gëtt Saachen an eisem Liewen, déi géife mir gäre vergiessen. Ee peinlechen Moment, eng Dommheet, déi eis geschitt ass oder déi mir gemaach hunn, oder ee traumatescht Erliefnis. Mee wat wier, wann dat méiglech wier? Wat, wa mir eis Erënnerunge kéinte läschen? Dat ass déi Grondfro, ëm déi et am Film "Eternal Sunshine of the Spotless Mind", op Däitsch "Vergiss mein nicht" geet. Dëse Film leeft nächste Méindeg an der Cinemathéik, an doriwwer hunn ech mech mam Philosoph Lukas Held ënnerhalen.

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4 min

Eternal Sunshine of the Spotless Mind

Was wäre, wenn wir unsere Erinnerungen kontrollieren könnten? Was wäre, wenn ich mich dazu entscheiden könnte, bestimmte Erinnerungen aus meinem Geist entfernen zu lassen? Und was würde es mit mir machen, einen Menschen ganz aus meinem Gedächtnis zu entfernen? Um diese Fragen geht es im Film "Eternal Sunshine of the Spotless Mind", von Michel Gondry, Drehbuch von Charlie Kaufman. Ich beschreibe kurz die Handlung: Joel (gespielt von Jim Carrey) und Clementine (gespielt von Kate Winselt) haben sich nach jahrelanger Beziehung auseinander gelebt und schließlich nach einem heftigen Streit getrennt. Als Joel Clementine einige Zeit später auf ihrem Arbeitsplatz besucht, um mit ihr zu sprechen, stellt er fest, dass sie sich nicht mehr an ihn erinnern kann - und offensichtlich auch einen neuen Freund hat. Joel ist perplex bis er herausfindet, dass Clementine sich einer Prozedur der Firma Lacuna unterzogen hat, bei der selektiv alle Erinnerungen an Joel entfernt wurden. Joel ist davon so verletzt, dass er beschließt dasselbe zu tun und jede Erinnerung an Clementine zu löschen. Während der Prozedur durchlebt er dann noch einmal alle Momente ihrer Beziehung...

Selig sind die Vergesslichen...

Tatsächlich werden hier viele philosophische Motive angesprochen. Dem Film steht übrigens auch ein Zitat von Friedrich Nietzsche vor, nämlich der Satz "Selig sind die Vergesslichen, denn sie werden auch mit ihren Dummheiten fertig." Das leuchtet ein, denn schließlich ist die Erinnerung das, wovon wir uns nicht lösen können, das, was wir mit uns herumtragen, wohin wir auch gehen und wozu wir uns auch entwickeln. Genauer betrachtet haben Erinnerungen eine hybriden Status. Sie verweisen einerseits auf etwas, das nicht mehr da ist, auf ein unwiederbringliches Nichts, dessen Verschwinden wir bedauern. Wir wollen durch die Erinnerungen etwas wiederbeleben, was nicht mehr da ist und nie mehr sein wird. Andererseits können die Erinnerungen aber auch unerträglich präsent werden, nämlich insbesondere dann, wenn wir uns von ihnen lösen möchten, wenn wir etwas bereuen. Je mehr wir sie bereuen, desto gegenwärtiger wird die Vergangenheit. Sich wie im Film von seinen Erinnerungen lösen zu können - das hat etwas sehr Befreiendes. Man macht sich frei und offen für den Moment selbst. Man löst sich von dem, was nicht mehr ist und nicht mehr sein wird. Im Vergessen liegt also eine Form von Emanzipation.

Erinnerung und Identität

Nun gibt es Philosophen wie z.B. den Engländer John Locke, die meinen, unsere Identität werde tatsächlich von unseren Erinnerungen zusammengehalten. Dass ich mich an diese oder jene Handlung erinnern kann, schreibt sie mir zu und versichert mich darüber, dass Ich eine Existenz habe, dass ich bin. Das bedeutet: Ich bin die Summe meiner Erinnerung. Auf der anderen Seiten gibt es Philosophen, wie z.B. den Franzosen Paul Ricoeur, der meint, dass unsere Erinnerungen eigentlich kein Spiegel sind, sondern eher eine Geschichte, die wir uns selbst erzählen. Anders gesagt: mein Ich ist die Geschichte, die ich mir selbst über mich erzähle. Was ich bin, das sind nicht meine Erinnerungen, sondern die Art und Weise, wie ich diese Erinnerungen zusammenfüge, umdeute, ausschmücke. Man könnte sagen, dass das Ich eine Art Erzöhlstil ist - für einige ist es eine Romanze, für manche ein Drama, für wieder andere eine Komödie. Das bedeutet aber auch, dass da nicht viel Wahres dahinter steckt, sondern viel eigene Interpretation. Nach diesem Modell sind wir mehr als die Summe unserer Erinnerungen - und dürfen sie demnach auch löschen. Das tun wir tatsächlich auch andauernd. Im Film macht eine Firma diese Aufgabe, in unserem Leben sind wir es, die wenn nicht vergessen, dann doch verändern, verschönern, ausschmücken oder einfach abmildern.

Ethik des Vergessens

Hier stellt sich die Frage nach der Ethik des Vergessens, z.B. wie man als Land oder als Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit umgehen sollte. Muss man sich erinnern? Darf man vergessen? Und was darf man nicht vergessen? Auf einem individuellen Level gehören meine Erinnerungen mir ebenso wie mir mein Körper gehört. Das was mir gehört, das darf ich nicht nur pflegen sondern auch zerstören. Wenn ich also ein Trauma vergessen will, sollte ich das dürfen. Andererseits wachsen wir durch solche Erfahrungen, sie bilden unsere Identität - ob nun positiv oder negativ. Ich wachse und entwickle mich, weil ich mich erinnern muss. Außerdem involvieren meine Erinnerungen ja auch andere Menschen, die wohl auch ein Recht darauf haben, dass man sich an sie erinnert. Letztlich geht es um den Gegensatz zwischen der Selbstbestimmung und der Verantwortung mir selbst und anderen gegenüber.