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Prisma

Lob der Sauna

Die Sauna ist ein Ort der Entspannung. Aber was passiert mit uns, wenn wir in die Sauna gehen? Ist die Saune mehr Philosophie als einen Ort oder Raum? Lukas Held sucht nach Antworten.

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5 min

Der Philosoph Lukas Held. Foto: Archiv

Ich gestehe: die folgenden Überlegungen werden Ihnen, werte Zuhörerinnen und Zuhörer, von einem begeisterten Saunagänger vorgetragen und erheben insofern auch keinerlei Anspruch auf Objektivität. Das soll uns aber nicht daran hindern uns gemeinsam dem Phänomen Sauna philosophisch zu nähern und uns die Frage zu stellen, was man da eigentlich tut, wenn man sich in ein kleines Häuschen begibt, um - entweder alleine oder in Gesellschaft - zu schwitzen.

Ich schlage vor, dass wir den zu untersuchenden Gegenstand in verschiedene Momente aufteilen. Das ist wichtig, denn unter "Sauna" versteht man sowohl einen Ort - die Sauna - als auch eine Tätigkeit - das Saunieren -, und auch wenn beide nicht voneinander zu trennen sind, sollte man sich ihnen doch gesondert nähern. Denn mir scheint, dass es sich bei der Sauna zunächst einmal um einen ganz speziellen Typ von Ort handelt, was ich im Folgenden illustrieren möchte.

Ein spezieller Ort ... oder Raum?

Beginnen wir also mit dem Ort "Sauna". Und sogleich tritt die erste Schwierigkeit auf: handelt es sich bei der Sauna um einen Ort, oder um einen Raum? Nun, die Sauna ist irgendwie beides: als Raum ist sie ein hölzernes Gebilde, in dem sich Bänke und eine Wärmequelle befinden, meist in Form eines Ofen oder heißer Steine; und als Ort vereint sie mehrere dieser komischen kleinen Räume, in die sich Menschen zurückziehen, um zu schwitzen.

Der Unterschied zwischen Ort und Raum besteht darin, dass der Raum wesentlich offen ist und immer auf die Präsenz anderer Räume, ja des Raums an sich, verweist. Der Ort hingegen muss sich immer von anderen Orten abgrenzen.

Anders gesagt: ich kann zwar in mehreren Räumen zugleich sein (bspw. in dem Wohnzimmer, das sich in meiner Wohnung in einem Hochhaus befindet) aber ich kann niemals an zwei Orten gleichzeitig sein. Und damit ist eine weitere Eigenheit des Ortes benannt: im Gegensatz zum Raum, in dem man ja immer irgendwie ist, kann man einen Ort verlassen. Und ich möchte sogar behaupten, dass man Orte irgendwann verlassen muss, da sie sonst ungemütlich und sogar ungesund werden.

Ein Ort mit Regeln und Ritualen

Aber fahren wir weiter. Um sich voneinander abzugrenzen, arbeiten die Orte mit einem ganzen Arsenal an Abgrenzungs- und Exklusionsstrategien. Im Falle der Sauna ist das z.B. die bezahlbare Mitgliedschaft, oder die Geschlechtertrennung, ebenso die diskrete Architektur, die oftmals etwas abgelegene geografische Lage und nicht zuletzt die vorgeschriebene Nacktheit im Saunabereich. Die Sauna ist ein Ort, weil eben nicht jeder freien Zugang zu ihr hat. Das schließt allerdings nicht aus, dass sich jeder in die Sauna begeben darf; der Zugang ist immer potenziell möglich - vorausgesetzt, man unterwirft sich geltenden Regeln und Ritualen.

Wo wir gerade von Ritualen sprechen: nicht nur dem Saunagänger dürfte bekannt sein, dass dem Saunieren ein ritueller, ja sogar religiöser Aspekt innewohnt. So gilt die Sauna in Finnland als ein Ort, an dem sich Naturgeister aufhalten und die man dadurch gütig stimmt, dass man die Sauna aufheizt. Das finnische Wort für Aufguss bedeutet soviel wie "Geist" oder "Seele".

In unseren Gefilden ist dieser religiöse Aspekt nicht präsent, und dennoch: die hygienische Waschung vor und nach dem Saunagang, die verordnete Stille in der Sauna, die Ruhephase nach dem Saunieren, aber auch der Bezug zu und Umgang mit der eigenen und fremden Nacktheit - all das weist darauf hin, dass die Sauna ein Ort des Rituals ist.

Das Verhältnis zur Zeit ändert sich

Das hat auch Konsequenzen für unser Handeln an diesem Ort, denn sobald wir dort sind, unterwerfen wir uns nicht nur den geltenden Ritualen, sondern haben auch ein anderes Verhältnis zur Zeit. Dabei gilt zunächst einmal der empirisch versicherte Grundsatz: je heißer die Sauna, desto länger die Minuten - und das wird jeder Saunagänger bestätigen können.

Aber ernsthaft: es gibt wohl kaum einen Ort, an dem die Zeit so widersprüchlich wahrgenommen wird, wie in der Sauna: auf der einen Seite die völlige, entspannungsbedingte Zeitvergessenheit, auf der anderen Seite die Omnipräsenz der Zeit in Form kleiner Sanduhren, die einen daran erinnern, dass die Sauna - wie jeder Ort - einmal verlassen werden muss.

Warum brauchen wir Heterotopien?

Aber warum begeben wir uns eigentlich dorthin, warum brauchen wir diese "anderen Orte", diese Heterotopien - wie der zeitgenössische Philosoph Michel Foucault sie nennt und zu denen er unter anderem auch Bordelle, Gefängnisse, Friedhöfe, Gärten, Museen und Bibliotheken zählt? Nun: die Heterotopie ist der Ort, von dem ausgehend wir den Raum in dem wir uns tagtäglich bewegen, hinterfragen können. Indem sie den Raum durchbrechen bieten die Heterotopien uns die Möglichkeit, uns dem absoluten Anspruch der Realität zu entziehen - sei es auch nur für einen kurzen Moment.

Deshalb sind diese Orte meist auch von hochgradiger Künstlichkeit - und so auch die Sauna mit ihren kunstvoll angelegten Gärten und Teichen (der sogenannten "Saunalandschaft"), mit ihren ewig sprudelnden Whirlpools, mit ihren einladenden Liegen und ihren immer warmen Öfen. Sogar die allgegenwärtige Nacktheit ist künstlich, insofern sie die Rückkehr zu einer Form von Ursprünglichkeit und Unschuld zelebriert, die zumindest in unserem Kulturkreis unwiederbringlich verloren ist.

In der Heterotopie-Sauna sind die Gärten immer grün, der Bezug zum eigenen Körper ist unverfälscht und direkt, die Schminke weggewaschen und die Geschlechterverhältnisse sind egalitär - kurzum, die Sauna ist die totale Negation unserer Realität. Und genau das ist ihre Aufgabe.

Die Wirklichkeit wird aufgelockert

Darin besteht nämlich der Unterschied zwischen der Utopie und der Heterotopie. Die Utopie ist die Fiktion eines Ortes, den es nicht gibt und niemals geben kann und in den wir gerade deshalb unsere all Wünsche und Träume hineinprojizieren. Die Heterotopie hingegen ist ein Ausklammerungsort: die Wirklichkeit wird aufgelockert dadurch, dass sie ausgeklammert wird - aber immer nur für einen kurzen Moment, bevor man wieder zur Wirklichkeit zurückkehren muss. Wichtig ist, dass man anders zur Wirklichkeit zurückkehrt, manchmal entspannt, vielleicht enttäuscht, vielleicht motiviert, oder auch missmutig - aber immer mit einem anderen Blick auf die Realität, die uns umgibt. Und vielleicht ermöglicht der Aufenthalt in einer künstlichen Welt auch einen Einblick in die Künstlichkeit unserer Realität, mit all ihren falschen Zwängen und vermeintlichen Imperativen.

Wir könnten jetzt noch lange über das Phänomen Sauna nachdenken, aber vielleicht sollten wir diese Überlegungen an dieser Stelle auf sich beruhen lassen und uns lieber der empirischen Studie des Orts "Sauna" widmen. Nicht immer geht probieren über studieren, aber in diesem Fall denke ich schon. Vor allem bei den Temperaturen...