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Seismograph

Déi gro Männer

Der "graue Mann", das ist der Teufel, der einfach da ist, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, ohne Hörner und ohne dämonisches Lachen. Aber er ist auch der graue Mann, weil eben niemand ihn mehr betrachtet, weil niemand mehr hinsieht, weil wir gleichgültig sind gegenüber dem Bösen.

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4 min

Der Philosophe Lukas Held. Foto: Archiv

Pit Walté: Bei dir geht es heute um die Farbe Grau?

Lukas Held: Ja die vergangene Woche stand zumindest für mich ganz im Zeichen der Farbe Grau.

Denkst du da vielleicht an das Wetter?

Ja leider auch, aber nicht nur. Ich dachte da vor allem an zwei Dinge.

Zunächst einmal an die Ausstellung L'homme gris, die aktuell und noch bis zum 6. Juni im Casino in der Stadt zu sehen ist. L'homme gris, der graue Mann: diese Bezeichnung stammt aus Adalbert von Chamissos Novelle Peter Schlemihl, in welcher der Protagonist einem grauen Mann begegnet, der ihm seinen Schatten abkaufen möchte - das Ganze im Tausch für einen nie versiegenden Reichtum.

Der graue Mann, das ist natürlich niemand anders als der Teufel. Dass die Inkarnation des Bösen ein in Grau gekleideter unauffälliger Mann ist - und nicht etwa ein flammend rotes Wesen mit Hufen und Schwanz - ist ja an sich schon bemerkenswert.

Von Chamisso beschreibt ihn in seiner Novelle übrigens als einen "stillen, dünnen, hageren, länglichen, ältlichen Mann", der einen unauffälligen Rock und eine banale Aktentasche trägt, den man - so von Chamisso - also eigentlich gar nicht bemerkt.

Das Böse ist also unauffällig.

Ganz genau, der Teufel ist grau, unauffällig, einfach da, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, ohne Hörner und ohne dämonisches Lachen.

Das ist ein wichtiger Paradigmenwechsel in der Darstellung des Bösen. Früher nahm man nämlich an, dass sich das Böse deutlich zeigte, und zwar in diversen Zeichen die mehr oder weniger offensichtlich waren, die sogenannten stigmata diaboli.

Wenn man davon ausgeht, dass sich das Böse zeigt, dann kann man Strategien entwerfen, um das Böse sichtbar zu machen, zum Beispiel durch Folter. Diese Annahme war die epistemische Grundlage der grausamen Hexenprozesse, bei denen übrigens allein im damaligen Herzogtum Luxemburg rund 2000 Menschen umgebracht wurden - natürlich mehrheitlich Frauen.

Das Böse kommt zutage, wenn man lange genug ermittelt, also inquiriert. Aber was nun, wenn das Böse unsichtbar ist, grau und unscheinbar? Wo zeigt sich dann das Böse?

Ja, und wie kommt man dem unsichtbaren Bösen auf die Spur?

Eben. Und damit wäre ich beim zweiten Grauton der letzten Woche, nämlich der #openlux-Affäre, die ja letzte Woche die Schlagzeilen der internationalen Presse dominierte - und bei der Luxemburg nicht wirklich gut wegkommt.

Mir fällt auf, dass in der Berichterstattung immer wieder die Farbe Grau auftauchte, in all ihren Facetten: da war die Rede von grauen Listen, von rechtlichen Grauzonen, von Geldern, die in grauer Opazität verschwanden, ja sogar von grauen Männer, die im Hintergrund Strippen ziehen. Kurz: Luxemburgs Finanzplatz ist eine Grauzone.

Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Zone intransparent ist, au contraire, sie ist sehr transparent, und die Openlux-Recherche ja nur möglich aufgrund dieser Transparenz.

Nein, Luxemburgs Grau ist ein anderes Grau: das Grau, das einfach da ist und nicht weiter auffällt, die unbunte Farbe, die zum Gesamtbild dazuzugehören scheint, ja die für viele eigentlich nicht mehr wegzudenken ist.

Anders gesagt: Luxemburgs Grau ist das Grau des grauen Mannes. So wurden die Enthüllungen hierzulande auch schnell als Pseudo-News deklariert, denn - so ein Kommentator - man erfahre hier ja nichts Neues. Diese Reaktion ist bezeichnend für das, was ich in Abwandlung einer bekannten Formel Hannah Arendts einmal die Bosheit des Banalen nennen möchte.

Was meinst du denn mit "Bosheit des Banalen"?

Ich meine damit unsere Reaktion auf das Böse, das uns umgibt.

Ich meine damit die Banalisierung von Taten, die moralisch höchst verwerflich sind, die unsolidarisch und egoistisch sind - wie eben die massive Steuerhinterziehung, die in unserem Land weiterhin unterstützt, gefördert und sogar gutgeheißen wird.

Um nochmal auf den grauen Mann zurückzukommen: der Teufel ist der graue Mann, weil eben niemand ihn mehr betrachtet, weil niemand mehr hinsieht, weil wir gleichgültig sind.

Vielleicht ist es an der Zeit, den grauen Männern noch einmal die roten Hörner aufzusetzen, sie in grellen Farben aufleuchten zu lassen, damit man noch einmal genauer hinsieht. Das wäre zumindest besser, als alles grau in grau zu malen und einfach zur Tagesordnung überzugehen.