Die eigene Trauer und den Verlust mit Musik verarbeiten
Die Züricher Künstlerin Daniela Weinmann verarbeitet auf ihrem dritten Album unter anderem den Verlust ihres Großvaters, der sich im Rahmen eines legalen Sterbehilfeprogramms in der Schweiz das Leben nimmt. Das Album ist der Versuch, mit der Trauer umzugehen und die familiären Mechanismen zu erforschen, die zum vorzeitigen Abschied des Großvaters führten. Es geht von tieftraurig, aufbrausend, wütend zu hoffnungsvoll, und das alles mit viel Lebendigkeit. Die ersten beiden Alben von Odd Beholder aus den Jahren 2018 und 2021 waren wie Feel Better Konzept-Alben, die vom modernen Albtraum der Digitalisierung oder dem zwiespältigen Verhältnis zwischen Mensch und Natur handelten. Auf Feel Better hört man aber im Vergleich zu den Vorgängern, dass Texte und Musik viel mehr Emotionalität beinhalten und dass dieser künstlerische Abstand, den ein Konzeptalbum normalerweise mit sich bringt, hier nicht gegeben ist. Konzeptalben handeln nämlich meistens von fiktiven oder realen Figuren. Aber nicht von der Künstlerin oder dem Künstler selbst.
Im Song „Woolen Sweater“, der einer der traurigsten Songs des Albums ist, beschreibt Daniela Weinmann die komplexen und sehr persönlichen Gefühle während der Tage, bevor ihr Großvater starb und die Familie auf den Tag der Suizidprozedur warteten.
Eine Reise zurück in die Schweizer Provinzstadt
Odd Beholder reist in der Zeit zurück in die 90er in die patriarchalisch geprägte Schweizer Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist. Einen Ort voller Schläger, Blaskapellen und Spanner, worüber sie im Song Rifle Club erzählt. Sie erzählt in ihren Songs, wie sie sich nach Familientreffen als Verliererin fühlt und vom Anderssein in Provinzstädten.
Wenn man die Texte ignoriert, könnte Feel Better auch ein lebhaftes Electro Pop Album sein. Musikalisch sind die Songs mit einer durchgängigen Leichtigkeit versetzt, aber genau diese Texte und die Gedanken auf dem Album kann man nicht ignorieren. Daniela Weinmann ist eben eine Künstlerin, die viel zu sagen hat und die sich einsetzt.
Sie ist auch Mitbegründerin von Music Declares Emergency Switzerland, einer politisch unabhängigen Initiative aus Künstler:innen und allgemein in der Musikindustrie tätigen Menschen, die sich branchenspezifisch für Klimaschutz einsetzt. Sie greift auf all ihren Alben interessante und unkonventionelle Themen auf. Sie erzählt von Entfremdung, Eskapismus und Emanzipation, mit dem Blick auf eine möglich bessere Welt. Auf „Feel Better“ geht sie nun einen Schritt weiter und greift Themen und Momente aus ihrem eigenen Leben auf.
Das Ergebnis ist ein sehr persönliches und autobiografisches Album über den Mut, die eigenen dunklen Räume zu erforschen, um endlich weitermachen und ein Leben nach den eigenen Vorstellungen führen zu können. Es gehört damit zum aufrichtigsten und emotionalsten Material im Oeuvre Odd Beholders und ist es deshalb wert, einmal genauer hinzuhören.