Radioen

On air

Mëttesrascht  |  The Last Dinner Party - Nothing Matters

play_arrow Live
arrow_back_ios

Noriichten

Noriichten

/ Warum halten wir uns an Regeln?

Seismograph

Warum halten wir uns an Regeln?

Hale mir eis u Reegelen, well mir mussen, oder well mir wëllen? Sinn d‘Léit vun Natur aus moralesch oder nëmme wéinst Reegelen a Gesetzer? A wat hunn des Froe mat der Legend vum Gyges a sengem Rank ze dinn?

auto_stories

4 min

headphones

7 min

play_arrow

Kindertraum Unsichtbarkeit

Diese Frage erinnern mich an einen Kindertraum von mir (und sicherlich auch vieler anderer) nämlich den Traum, unsichtbar zu sein. Ich habe mir immer gedacht, dass das wohl die schönste Superheldenpower sein muss, die es gibt: unbeobachtet durch die Welt zu  gehen, zu tun und lassen was man will und dafür niemals zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Unsichtbar zu sein, das ist ein typischer Kindertraum. Vielleicht weil man als Heranwachsender ja immer irgendwie gesehen wird, weil man geschützt wird und deshalb auch bewacht und kontrolliert wird von den Eltern oder den Geschwistern. Vielleicht auch, weil die Welt so voller Geheimnisse zu sein scheint, dass man manchmal gerne Mäuschen spielen will und die Erwachsenen bei ihren konspirativen Treffen belauschen möchte.  

Ich denke das ändert sich aber in der Pubertät, wo es doch eher darum zu gehen scheint, sich anzupassen aber zugleich auch gesehen und gehört zu werden.

Der Ring des Gyges

Aber kommen wir zurück zu der Ausgangsfrage: halten wir uns an Regeln weil wir wollen oder weil wir müssen? Zu dieser Frage gibt es ein schönes Gedankenexperiment aus der Antike, genauer gesagt kommt es uns von Platon und es steht in dessen Hauptwerk Republik.

Dieses Gedankenexperiment ist auch bekannt unter dem Namen Der Ring des Gyges. Ich gebe es jetzt in seiner geläufigsten Fassung dar, denn es gibt davon mehrere Versionen: In dieser Version ist Gyges ein guter Hirte, allseits respektiert und beliebt. Eines Tages verliert er sich mit seiner Herde in einem schweren Sturm. Da ist Blitz und Donner und Regen überall, Gyges wähnt sich schon dem Ende nahe.

Er irrt umher, der Boden wird glitschig, er rutscht aus, er stürzt, landet hart und wird bewusstlos. Als er wieder die Augen öffnet, sieht er etwas vor sich funkeln. Es ist ein Ring. Aber nicht irgendein Ring, denn es stellt sich heraus, dass dieser Ring seinem Träger die Macht verleiht, unsichtbar zu werden. Man erkennt hier unschwer, dass sich J.R.R. Tolkien für seinen Herr der Ringe bei bekannten Mythen bedient hat – aber das ist jetzt irrelevant.

Jedenfalls nimmt Gyges diesen magischen Ring an sich und beschließt die Königin seines Landes zu verführen. Sie verliebt sich auch in ihn, und er komplottiert mit ihr zusammen den Mord ihres braven Ehemanns, den König. Und nach dem Mord ernennt er sich selbst zum Machthaber.

Aus einem scheinbar guten Hirten wird ein grausamer Herrscher, aus einem scheinbar guten Menschen ein furchtbarer Tyrann. Denn als sich ihm die Möglichkeit bot, ungestraft davon zu kommen, ergriff Gyges seine Chance auf Macht und Reichtum.

Es scheint so, als brächte der Ring, oder die Tarnkappe, oder der invisibility cloak  unsere wahre Natur heraus. Denn jetzt stellt sich die entscheidende Frage: Halten wir uns nur an die Gesetze, weil wir dem kontrollierenden Blick der anderen gehorchen? Sind wir alle tief in uns drin wie Gyges und würden uns über die Gesetze hinwegsetzen, wenn wir das ungestraft tun könnten? Oder halten wir uns daran, weil uns von Natur aus ein Gerechtigkeitssinn angeboren ist?

Konvention oder Natur?

Es geht um die Frage, ob die Pflicht nur eine austauschbare Konvention ist, an die wir uns à contrecoeur halten, oder ob sie das Produkt einer vernünftigen Reflexion ist, also etwas, was dem Menschen innewohnt.

Es ist offensichtlich, dass wir von der Gesellschaft verpflichtet werden, gewisse Dinge zu tun, die uns widerstreben, und die vor allem unserem Willen nach Freiheit widerstreben, der uns innewohnt.  Aber es gibt auch Momente, wo wir Menschen rein nach der Pflicht handeln – und uns dies irgendwie erfüllt, weil wir trotz persönlicher Interessen uns eben einzig und allein an die Pflicht gehalten haben.

An dieser Stelle kann die philosophische Diskussion beginnen – und sie muss hier offen bleiben. Aber vielleicht dazu ein Ansatz: Mir scheint, dass wir Menschen moralische Wesen sind, dass wir dies aber allzu oft vergessen, weil wir uns nicht die Zeit nehmen oder nicht die Gelegenheit haben, darüber nachzudenken, was natürlich und was Konvention ist. Es gibt da ein schönes Buch des französischen Ethikers Ruwen Ogien mit dem Titel L’influence de l’odeur des croissants chauds sur la bonté humaine, in dem er zeigt, dass zum Beispiel eine Korrelation besteht zwischen dem Duft von Croissants und der Bereitschaft, dem Obdachlosen neben der Bäckerei mehr Geld zu geben. Oder der Bereitschaft, einem Bettler Geld zu geben, und der Zeit, die man bis zum nächsten RDV hat.

Fazit: je gestresster, desto weniger barmherzig, je wohler wir uns selbst fühlen, desto hilfsbereiter sind wir. Um es einmal metaphorisch auszudrücken: Wir sind wohl kaum Wölfe unter dem Schafspelz der Konventionen, sondern vielleicht eher Schafe unter dem Wolfspelz der Ellbogengesellschaft.

Lauschterenplay_arrow