Wir definieren eine Armutsgrenze, also ein Minimum, aber warum gibt es eigentlich keine Reichtumsgrenze, d.h. ein Maximum? Warum lassen wir es zu, dass einige wenige Menschen unbegrenzt Geld anhäufen? Nun, das hat sicherlich damit zu tun, dass Reichtum immer noch als das Ergebnis einer persönlichen Leistung betrachtet wird, als ein Zeichen von Fleiß und Tugend – und dem sollte man schließlich keine Grenzen setzen. Es scheint ja nur gerecht, dass man die Früchte seiner harten Arbeit auch genießt. Reich zu sein wird also damit legitimiert, dass man es sich verdient hat – „wuelverdéngt”, man hört dieses Wort hierzulande sehr oft. Bei genauerer Betrachtung ist das aber eine ziemlich schwache Rechtfertigung, denn ebenso wie Armut ist Reichtum auch nur bedingt selbstverschuldet bzw. selbstverdient.
Eine Erbschaft untergräbt das Leistungsprinzip
Ein gutes Beispiel ist die Erbschaft. Eine Erbschaft untergräbt nämlich das Leistungsprinzip, demzufolge wer mehr leistet auch mehr bekommt. Deshalb ist es auch kontradiktorisch, einerseits zu verkünden, dass Leistung sich wieder lohnen muss und andererseits gegen eine Erbschaftssteuer zu wettern – wie unsere Regierung es tut. Denn tatsächlich lohnt sich die Leistung derjenigen, die ohne Startkapital ins Leben starten viel weniger als die Leistung derer, die ihre Karriere auf einem soliden Erben aufbauen. Dazu gibt es genügend Studien, und das nicht erst seit Thomas Piketty.
Thema Geld: behalten, verschenken, oder weitergeben
Ich darf a priori mit meinem Besitz machen, was ich will, und wenn ich Geld besitze dann darf ich es meinen Kindern auch weitergeben – ich habe es mir ja verdient. Dann muss ich mir aber auch die Frage gefallen lassen, wieviel meines Reichtums wirklich das Resultat meiner Arbeit ist bzw. wieviel davon erst durch die Gesellschaft ermöglicht wurde, in die ich als Bürger eingebettet bin. Wer bezahlte mir denn meine 1ère und meine Uni? Wer stellte die Infrastrukturen zur Verfügung, mittels derer meine Firma gedeihen konnte? Was bin ich meinen MitarbeiterInnen schuldig? Wieviel meines Erfolgs ist eigentlich meinem angeborenen Talent geschuldet? Und – auch eine wichtige Frage – wieviel Glück hatte ich bei all meinen Unternehmungen? Und wieviel Unglück hatten meine Konkurrenten. Man sollte die Faktoren Talent und Glück in Sachen Reichtum nicht unterschätzen. Ein Blick in die Biographien vieler erfolgreicher Menschen bestätigt das: Elon Musk hatte das Glück, als weißer Südafrikaner und Sohn eines Smaragdminenbesitzers geboren zu sein. Bill Gates verdankt seine Kooperation mit IBM einigen sehr unklugen Entscheidungen anderer Entwickler. Aber es würde doch niemand ernsthaft behaupten, dass Talent und Glück verdient ist, ebenso wenig wie jemand sagen würde, dass man sich einen Lottogewinn verdient hat. Also du siehst Luc, es ist nicht ganz leicht, Reichtum mit Verweis auf das Leistungsprinzip zu rechtfertigen. Es ist überhaupt nicht leicht, Reichtum zu rechtfertigen.
Ist Reichtum moralisch vertretbar?
Es gibt PhilosophInnen, die sich diese Frage aktuell stellen. Zum Beispiel die belgische Philosophin Ingrid Robeyns von der Universität Utrecht. Robeyns ist der Meinung, dass Reichtum moralisch nur vertretbar ist, wenn er keinen Schaden für andere mit sich bringt. Das ist jedoch eindeutig nicht der Fall. Reiche Menschen nehmen z.B. einen überdurchschnittlich großen Einfluss auf die Politik – und das allein in ihrem Interesse. Reiche Menschen unterminieren also durch ihre Macht und ihren Einfluss das demokratische System und das Prinzip der politischen Gleichheit – eines der Grundprinzipien einer offenen Gesellschaft. Reiche Menschen leben darüber hinaus viel klimaschädlicher als die Mittelklasse und die Armen, die reichsten zehn Prozent der Menschheit sind für rund 47 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Reiche Menschen sind – man kann es durchaus so sagen – eine Gefahr für die Allgemeinheit. Man könnte dem noch hinzufügen, dass das Ideal des Reichtums von den wesentlichen Problemen unserer Zeit ablenkt. Solange es vornehmlich darum geht, einfach mehr Netto vom Brutto zu haben, solange wir dem Geld hinterherhecheln, solange werden wichtige Fragen nach Nachhaltigkeit und nach einem würdevollen Miteinander gar nicht erst gestellt.
Was sind Lösungen für dieses Problem?
Die Philosophin Ingrid Robeyns spricht sich ganz klar für eine Begrenzung des Reichtums aus. Sie nennt konkrete Zahlen, nämlich 10 Millionen Euro – niemand sollte selbst mehr als 10 Millionen Euro besitzen. 10 Millionen Euro sind nämlich einerseits immer noch ein Ansporn, sich ein privates Vermögen zu erwirtschaften, andererseits nicht genug, um sich eine klimaschädliche Superyacht zu leisten und auch nicht genug, um sich zu viel politische Macht zu erkaufen. Alles, was über diese Summe hinaus geht, geht zurück an die Allgemeinheit. Natürlich kann man über diesen Betrag streiten, man könnte fragen wieso nicht mehr und nicht weniger. Man könnte sich auch fragen, wie das umzusetzen ist, wie man Kapitalfluss eindämmen soll, wie man Firmenanteile und Immobilien in diesem patrimoine gewichten muss, wie man gegen Steuerparadiese vorgeht – wichtig ist allein, dass man über diese Grenze diskutiert, dass wir über die Frage nach dem Maximum beginnen zu sprechen. Diese Position nennt Robeyns übrigens Limitarianismus. Ihr Buch mit diesem Titel – Limitarianism – wird übrigens im Februar erscheinen. Wir dürfen also gespannt sein, wie sie auf all diese Fragen antwortet. Wen das Thema interessiert, der muss aber nicht bis Februar warten sondern kann sich bereits das kleine Büchlein „Wie reich darf man sein?“ von Christian Neuhäuser ansehen. Eine sehr lohnenswerte Lektüre.