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Seismograph

Descartes‘ Träume

Hat Dir schonn eng Kéier en Dram, deen esou realistesch war, datt Dir net wousst, wat Realität a wat Dram ass? Da geet et Iech wéi dem René Descartes. Tatsächlech hat den Descartes a senger Jugend dräi wichteg Dreem, déi säi Liewe verännert hunn. Am Seismograph vun dëser Woch presentéiert eis de Lukas Held dem Descartes seng Dreem a stellt sech allgemeng d’Fro, wat d’Roll vun den Dreem an eisem Liewen ass.

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Der Traum ist das Andere des Bewusstseins, sozusagen dessen dunkler Gegenpart, der Traum ist der Schatten des Bewusstseins. Beide gehören zusammen und schließen sich dennoch aus: wer bei Bewusstsein ist, der träumt nicht, und wer träumt, der tut dies (meist) nicht bewusst.

Der Traum ist tatsächlich eines der großen Mysterien der Menschheit – und er bleibt es, denn es ist weiterhin unklar, wozu der Traum genau dient. Ist er die umgeleitete und symbolische Manifestation unbewusster Wünsche, wie Freud es meinte? Ist er der Ausdruck eines archaischen kollektiven Unbewussten, wie Carl Gustav Jung es behauptete? Ist er vielleicht ein evolutionärer Schutzmechanismus, mittels dessen wir Bedrohungen im Geiste durchspielen um uns besser auf sie vorzubereiten? Oder ist der Traum ein Aufräum-Tool des Gehirns, das den Schlaf dazu nutzt, um Ordnung in das Chaos der Gedanken und Erinnerungen zu bringen – und so dafür sorgt, dass wir unsere Identität wahren?

Träumen wir vielleicht einfach nur, damit wir uns beim Schlafen nicht langweilen, wie es der Schriftsteller Max Goldt einmal ironisch bemerkte? Wir wissen es nicht genau. Fest steht jedenfalls, dass das Träumen zum Menschen dazu gehört. Wie sagte Shakespeare schon: „Wir sind aus solchem Stoff, wie Träume sind; und unser kleines Leben ist von Schlaf umgeben.“

Offenbarung und Trug 

Der Traum hat jedenfalls seinen Platz in der Geistesgeschichte und in der Philosophie. Dabei lässt sich jedoch ein ambivalentes Verhältnis zum Traum feststellen. Bei Homer und Hesiod, aber auch noch im alten Testament und sogar noch im neuen Testament ist der Traum göttlichen Ursprungs. Im Traum offenbaren die Götter den Menschen ihr Schicksal, denn im Traum berühren sich Jenseits und Diesseits. So träumt Penelope in der Odyssee von 20 Gänsen, die von einem Adler getötet werden – was sich später bewahrheitet, als ihr Gatte Odysseus die 20 Freier tötet, die sein Haus belagern. Joseph erfährt im Traum, dass seine Frau Maria den Sohn Gottes erwartet – und dürfte sich beim Erwachen wohl einige Fragen gestellt haben. Weil der Traum das Tor zur Zukunft ist, ist es von größter Bedeutung, die Träume deuten zu lernen.

Träume sind in dieser Tradition keineswegs Schäume, sondern Wegweiser. Aber – und hier kommt nun die Ambivalenz zutage – Träume können auch reine Phantasiegebilde sein, ohne Sinn und ohne Aussagekraft. Schlimmstenfalls können sie sogar trügen. Wer garantiert mir denn, dass der Traum göttlichen, also „guten“ Ursprungs ist? Könnte es nicht auch sein, dass der Teufel hier seine Finger im Spiel hat?

Drei Träume 

Diese Ambivalenz im Verhältnis zum Traum findet sich auch beim wohl berühmtesten Träumer der Philosophiegeschichte, nämlich bei René Descartes. Descartes - so erzählt es uns sein Biograph - verweilte im Jahr 1619, im zarten Alter von 23 Jahren, als Soldat in Ulm, damals ein wichtiges intellektuelles Zentrum. Und weil der Krieg ziemlich still stand, vertrieb er sich dort die Zeit mit verschiedenen naturwissenschaftlichen und mathematischen Forschungen. Man könnte sagen, dass Descartes intellektuell auf Hochtouren war. In der Nacht des 10. November 1619 hatte Descartes drei Träume, die sein Leben maßgeblich veränderten. Im ersten Traum träumt Descartes, dass sein Körper von einem starken Wind gekrümmt wird. Er ist orientierungslos, wankt durch die Straße, aber alle anderen Menschen um ihn herum scheinen von dem Wind nicht beeinflusst zu werden. Außerdem schenkt ihm jemand eine Melone.

Descartes erwacht, und schläft wieder ein. Der zweite Traum ist eine Halluzination: Descartes hört im Traum einen Donnerschlag und meint im Zimmer Funken um ihn herum zu sehen. Er erwacht wiederum, merkt, das alles ganz normal ist und schläft wieder ein. Im dritten Traum sieht René Descartes auf einem Tisch ein Lexikon und einen Gedichtband. Er nimmt den Gedichtband und sucht darin nach einem Gedicht mit dem Titel „Welchem Weg soll ich folgen?“. Descartes wird noch im Traum schlagartig bewusst: das Lexikon stellt die Gesamtheit der Wissenschaft dar, und der Gedichtband symbolisiert die die Weisheit und die Philosophie. Und der Weg, den er einschlagen sollte, ist der, die Grundlage der Wissenschaft philosophisch zu hinterfragen.

Traum und Selbstbewusstsein 

Und das tat er dann auch, und zwar in seinem Hauptwerk, den Meditationes. Dort kommt er wieder auf den Traum zurück, aber diesmal ist der Traum nicht prophetisch, sondern trügerisch. Wie kann ich wissen, was wirklich ist, wenn alles, was ich wahrnehme und denken kann, mir auch im Traum als wirklich erscheint? Anders gesagt: woher weiß ich, dass das, was ich gerade erlebe, kein Traum ist? Wo finde ich Gewissheit?

Descartes fand sie in sich selbst, besser gesagt im denkenden Ich. Cogito ergo sum, ich denke also bin ich – diese Einsicht bezeichnet eine absolute, unanzweifelbare Wahrheit. Im absoluten Selbstbewusstsein entkommt man also der trügerischen Wirklichkeit des Traums. Aber zu dieser Einsicht kam Descartes ja erst durch den Traum. Und damit kommen wir zurück zum Anfang unseres Parcours, und stellen fest: Traum und Bewusstsein sind die zwei Seiten einer Medaille.

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