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Seismograph

Welttag der Philosophie

Heute ist, wie jedes Jahr am dritten Donnerstag des Monats November, der Welttag der Philosophie und das ist vielleicht Grund genug sich einmal zu fragen, wo sie denn steht, die Philosophie im Jahre 2020, und wo es mit ihr hingehen soll.

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3 min

Der Philosophe Lukas Held. Foto: Archiv

Simon Larosche: Heute ist ein besonderer Tag ...

Lukas Held: Ja, tatsächlich ist heute, am dritten Donnerstag des Monats November, der Welttag der Philosophie. Und das ist vielleicht Grund genug sich einmal zu fragen, wo sie denn steht, die Philosophie im Jahre 2020, und wo es mit ihr hingehen soll.

Ich könnte jetzt natürlich davon erzählen, wie wichtig die Philosophie besonders in Covid-Zeiten ist, wie sie uns hilft, die Krise zu reflektieren und den sich ankündigenden Wandel zu verstehen. Ich könnte mich anschließend darüber beklagen, dass die Politik zwar den Virologen, nicht aber den Philosophen um Rat fragt, wenn sie gesellschaftspolitische Entscheidungen trifft.

Ich könnte auch davor warnen, dass die digitale Revolution dringend einer ethischen Orientierung bedarf, da hier so gut wie nichts geklärt ist, bspw. die Frage, ob unser Verantwortungsbegriff auch auf künstliche Intelligenz passt.

Ich könnte sagen, dass die Philosophie in all diesen Bereichen kompetent ist, dass sie ein wichtiges Werkzeug zum Verständnis der Welt und ihrer Komplexität darstellt - und dass man den Philosophen daher gefälligst zuhören sollte.

Ich höre heraus, dass du da eher skeptisch bist.

Ja, ich bin tatsächlich skeptisch gegenüber diesem Willen der Philosophie, relevant zu sein und irgendwie gebraucht zu werden. Ich bin skeptisch gegenüber ihrem Nützlichkeitsfetisch, weil ich glaube, dass das Wesen der Philosophie darin besteht, zwecklos zu sein.

Die Etymologie des Wortes gibt mir dabei recht, denn "Philosophie" bedeutet Begierde nach Weisheit und wer etwas begehrt, besitzt es ja nicht - schließlich ist der Besitz das Ende der Begierde - und wer nur begehrt ohne etwas zu besitzen, kann nicht nützlich sein.

Darin liegt der wichtige Unterschied zwischen dem Wissenschaftler und dem Philosophen: beide staunen oftmals über dieselben Dinge, aber während der Wissenschaftler versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen, bis alles erklärt und nichts mehr erstaunlich ist, bleibt der Philosoph bei diesem Staunen stehen.

Auf Fragen hat er keine Antworten, sondern nur noch mehr Fragen, weshalb seine Neugierde eigentlich unbegrenzt ist. Das macht den Philosophen aber auch so unerträglich für eine nützlichkeitsorientierte Gesellschaft.

Auf sein Denken folgt kein Handeln, sondern nur noch mehr Denken. Philosophie ist, anders gesagt, Denken, das weiß, dass es denkt.

Das klingt aber sehr nach intellektuellem Elfenbeinturm.

Eben das ist eine falsche Idee, denn dass die Philosophie zwecklos ist bedeutet nicht, dass sie unsinnig sein muss. Eben gerade weil sie zwecklos ist, ist die Philosophie ein wirklich freies Denken; eben weil sie eigentlich nirgendwo hingehört, eben weil sie auf verlorenem Posten steht, bietet sie eine völlig andere, eine freie Perspektive auf die Welt.

Denn von ihrer Perspektive aus ist nichts einfach etabliert, nichts selbstverständlich, sondern grundsätzlich alles fragwürdig, alles verdächtig, alles erstaunlich. Aus diesem Grund kann der Philosoph nicht zur Gesellschaft gehören, so wie der Wissenschaftler oder der Künstler, denn er ist die Negation dessen, was unsere Gesellschaft ausmacht.

Wo alle weitermachen, hält er inne, wo andere Kompromisse suchen, sprengt er den Rahmen, wo vermeintlich Harmonie herrscht übt er Kritik, und wenn es Zeit ist, zu handeln, ja dann denkt er.

Insofern ähnelt der Philosoph weniger dem smarten Advisor als vielmehr einem Bettler. Genau wie der Bettler gehörte er nirgendwo hin, bringt nichts und stört irgendwie. Und genau darin besteht der zwecklose Zweck des Philosophen: zu stören. Das kann er aber eben nicht aus einem Elfenbeinturm heraus machen, und so muss er als Störenfried unter den Menschen leben, unter Menschen, die ihn nicht brauchen und die ihn auch nicht wollen.

Daran muss der Philosoph sich erinnern, denn sonst läuft er Gefahr, zum zahmen Ratgeber der Politik, zum Ethikkommissar, zum weisen Legitimierer der Verhältnisse oder zum unterhaltsamen aber harmlosen Gedankenexperimentonkel degradiert zu werden. Denn wo sie aufhört zu stören, da hört die Philosophie selbst auf.