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Seismograph

Was tun nach der 1ère?

Die Philosophie kann zwar nicht bei der Entscheidung helfen, sie kann aber darüber nachdenken, was eine Entscheidung ist, also was wir tun, wenn wir uns entscheiden.

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3 min

Der Philosoph Lukas Held. Foto: Archiv

Simon Larosche: Du nimmst heute das 1ères-Examen zum Anlass, um über Entscheidungen zu sprechen.

Lukas Held: Während Sie diese Sendung hören, sitzen gerade hunderte Primaner in irgendeiner Abschlussprüfung - einige davon übrigens im Philosophie-Examen. Man kann von dieser Prozedur halten was man will - sicher ist, dass sie Ritualcharakter hat. Hier wird etwas abgeschlossen, es handelt sich um ein Ritual des Abschließens.

Dabei hilft, dass der Weg, der hier zu Ende geht, von allen Beteiligten auch als wirklich beendet angesehen wird: von der Schulleitung ebenso wie von den Lehrpersonen, und vor allem von den SchülerInnen selbst. Eigentlich ist der Schulabschluss eines der wenigen Rituale des Schließens, die wir in unserer Gesellschaft noch haben, in der Offenheit, Flexibilität und Lifelong-Learning die neuen Werte sind. Nein, nach der 1ère ist endlich einmal Schluss.

Aber nach der 1ère fängt ja auch wieder etwas Neues an.

Das stimmt, und damit wären wir bei der Frage, die sich alle Primaner stellen: Was mache ich nach der 1ère, wofür soll ich mich entscheiden? Studieren oder arbeiten? Reisen oder Freiwilligendienst? Straßburg oder Trier, Freiburg oder Montpellier, Mailand oder Madrid, Geschichte oder Germanistik, Medizin oder Jura? Fragen über Fragen - und vor allem: Entscheidungen über Entscheidungen.

Wie kann die Philosophie den Primanern bei der Entscheidung helfen?

Die Philosophie kann zwar nicht bei der Entscheidung helfen, sie kann aber darüber nachdenken, was eine Entscheidung ist, also was wir tun, wenn wir uns entscheiden. Im Wort Entscheidung klingt ja scheiden, also trennen an. Tatsächlich muss, wer sich entscheiden will, gewisse Dinge voneinander trennen. Er oder sie muss die Gründe abwägen, die seine Handlung motivieren, muss das Outcome, das erwartete Resultat einschätzen - um sich dann schließlich für die Option zu entscheiden, deren Erfahrungswert am vielversprechendsten ist.

Demzufolge ist eine Entscheidung das Resultat einer vernünftigen Berechnung, bei der es natürlich viele Unbekannte gibt, die aber allgemein zu einem verlässlichen Resultat führt. Schwierig wird es allerdings, wenn mehrere Optionen einen identischen Erfahrungswert versprechen - dann hat man es mit einem Buridanschen Esel zu tun: ein sehr hungriger Esel steht zwischen zwei gleichgroßen Heuhaufen. Der Esel wird verhungern müssen, da es für ihn keinen triftigen Grund gibt, sich für den einen Heuhaufen eher als für den anderen zu entscheiden. Ebenso ein Mensch, der so hungrig wie durstig ist - welchen Drang soll er zuerst stillen? Und warum eher den einen als den anderen?

Man sieht: um zu handeln, müssen wir wollen. Und um zu wollen, brauchen wir gute Gründe. Und diese Gründe sind hier äquivalent.

Um dieser Situation zu entkommen, muss man sich vielleicht noch einmal auf das Wort "Entscheidung" zurückbesinnen: im Wort klingt nicht nur das Trennen, sondern auch das Verbinden an - wenn man ent-scheidet dann hebt man ja auch eine Trennung auf. Vor der Entscheidung bin ich zwiegespalten, und danach bin ich eins mit mir. Oder anders gesagt: wenn ich mich entscheide, dann löse ich damit die Trennung zwischen mir selbst und meiner Zukunft auf.

Wenn ich mich entscheide, dann gebe ich mir selbst die Möglichkeit, einmal zurückblicken zu können. Welche nun die richtige Entscheidung ist - das kann man natürlich nicht wissen. Eine Entscheidung macht nämlich erst Sinn, lange nachdem man sie getroffen hat. Man glaubt zwar, dass diese oder jene Entscheidung zu diesen oder jenen Konsequenzen geführt hat. Tatsächlich macht die Entscheidung jedoch nur Sinn aufgrund ihrer Konsequenzen. Für unsere vor dem Abschluss stehenden Primaner bedeutet das Folgendes: ob Biologie, Anglistik, Genie civil oder Psychologie, ob nun Wien, Heidelberg oder doch uni.lu - die richtige Studienwahl kann man nicht treffen, sondern eben nur getroffen haben.

So wie ich es sehe bedeutet sich zu entscheiden eben nicht, einen Weg zu wählen, den man dann stringent verfolgt, sondern sich die Möglichkeit zu geben, später einmal zurückzusehen, und auf Kreuzungen zurückzublicken, aus denen sich ein Weg ergeben hat.