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Was ist Selbstvertrauen?

Was ermöglicht es Politikern, sich den kritischen Fragen von Reportern zu stellen? Oder dem Fussballer, beim Elfmeter die Nerven zu behalten? Oder dem 1ère-Schüler, seine Nervosität zu überwinden, und ein gutes Examen zu schreiben? Die Antwort ist: Selbstvertrauen. Aber was das eigentlich - Selbstvertrauen?

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4 min

Foto: Bigstock / kgtoh

Selbstwert ≠ Selbstvertrauen

Was ermöglicht es Politikern, sich den kritischen Fragen von Reportern zu stellen? Oder dem Fussballer, beim Elfmeter die Nerven zu behalten? Oder dem 1ère-Schüler, seine Nervosität zu überwinden, und ein gutes Examen zu schreiben? Die Antwort ist: Selbstvertrauen.

Aber was das eigentlich - Selbstvertrauen? Das Wort ist tatsächlich etwas irreführend. Selbst-vertrauen, sich selbst vertrauen: das klingt so, als müsse man zunächst einmal zu diesem Selbst vordringen, damit überhaupt Vertrauen entstehen kann. Es klingt so, als müsse man sich seiner Fähigkeiten, seiner Kompetenzen und Stärken bewusst werden, um sich vertrauen zu können.

Aber das ist wie gesagt irreführend, denn dann verwechselt man Selbstwert und Selbstvertrauen. Selbstwert kann man sich tatsächlich selbst zuschreiben, es geht dabei schließlich um die Meinung, die man von sich selbst hat - wobei hier natürlich auch die Gefahr der Arroganz besteht.

Das Selbstvertrauen aber, das funktioniert anders, denn Selbstvertrauen gewinnt man nur über die anderen hinweg. Um sich selbst zu vertrauen, muss man den anderen vertrauen.

Vertrauen als erste Erfahrung

Bei unserer Geburt sind wir Menschen ja bekanntlich schwach, verletzlich und hilfsbedürftig. Wir haben noch gar kein Selbst, auf das wir bauen und in das wir vertrauen könnten. Das Kind muss seinen Eltern vertrauen, denn es ist völlig auf ihre Hilfe angewiesen.

Unsere erste Erfahrung ist die des Vertrauens auf den anderen. Dabei bleibt es natürlich nicht, denn das Verhältnis dreht sich irgendwann. Nun sind es die Eltern, die ihrem Kind vertrauen, und eben dieses Vertrauen des Erwachsenen in das Kind befähigt das Kind dazu, ein Selbstvertrauen zu entwickeln.

Also andere müssen dir vertrauen, damit du dir selbst überhaupt vertrauen kannst ... und das ist sozusagen das Paradox des Selbstvertrauens, auch über das Kindesalter hinaus: Du vertraust dir selbst, weil dir das Vertrauen von anderen geschenkt wurde, vom Partner, von Freunden, Familienmitgliedern, Lehrern, Kollegen usw. - irgendjemand hat etwas in dir gesehen, was du nicht gesehen hast. Und jetzt siehst du es auch, und da man dir vertraut, da man dich für vertrauenswürdig befindet, kannst du voranschreiten und Selbstvertrauen gewinnen.

Es gibt keinen Mangel an Selbstvertrauen

Aber natürlich reicht das noch nicht. Man muss auch rezeptiv sein für das Vertrauen, das andere in einen legen. Oder anders gesagt: man muss den anderen vertrauen, bevor man sich selbst vertrauen kann.

Die französische Psychoanalytikerin Anne Dufourmantelle sagte einmal in einem Interview, dass es so etwas wie mangelndes Selbstvertrauen gar nicht gibt, sondern nur mangelndes Vertrauen in die anderen. Oder um es in ihren Worten zu sagen: "Lorsque nous croyons manquer de confiance en nous, ce qui manque, en réalité, c'est la confiance en l'autre." Damit meint sie nicht nur das Vertrauen in den anderen, so wie du z.B. darauf vertraut hast, dass ich pünktlich ins Studio komme.

Nein, es geht auch um das Vertrauen in das, was von den anderen kommt, oder besser gesagt: um die Offenheit für das, was die anderen mir geben. Es geht darum, das Vertrauen, das mir die anderen schenken, auch aufnehmen zu wollen. Mangelndes Selbstvertrauen ist demnach ein Mangel an Offenheit für das Vertrauen, das andere einem schenken können.

Oder noch anders gesagt: Wenn ich kein Selbstvertrauen habe, dann bedeutet das eigentlich, dass ich nicht glauben kann, das jemand anders mich für vertrauenswürdig hält. Die Gründe für diese Verschlossenheit sind natürlich sehr komplex...aber das ist eine andere Diskussion.

Wichtig ist: ohne Vertrauen in die anderen kann es kein Selbstvertrauen geben. Und - vice versa - wenn wir dem anderen nicht vertrauen, kann dieser sich selbst nicht vertrauen. Ich finde das eine wichtige Erkenntnis, vor allem in einer Zeit, in der das Ich stark im Vordergrund steht und man sich ständig auf die Suche nach diesem mysteriösen Selbst machen muss.

Man glaubt, dass es irgendwo im Inneren verborgen liegt und man es mithilfe von teurem Coaching und Seminaren nur herausarbeiten muss - und dann definitiv besitzt. Selbstvertrauen ist keine Sache, die man mit sich selbst aushandelt.

Selbstvertrauen bedeutet nicht, dass man in das eigene Selbst vertrauen kann, sondern dass man dieses Selbst erst entstehen lässt - und zwar durch Vertrauen in die anderen. Wer sich übrigens für dieses Thema interessiert, dem empfehle ich wärmstens das Buch La confiance en soi des Philosophen Charles Pépin, das auch auf Deutsch übersetzt wurde mit dem Titel Kleine Philosophie der Zuversicht. Sehr lesenswert.