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Seimsograph

Was tun wir, wenn wir uns sorgen?

Mit dem Krieg in der Ukraine ist ein Gefühl auf den Plan getreten, das wir gerne unterdrücken: die Sorge. Aber was tun wir eigentlich, wenn wir uns Sorgen machen?

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4 min

Wenn wir besorgt sind, dann verhalten wir uns zu unserer Zukunft. Oder genauer gesagt: zu all den möglichen "Zukünften", die es gibt. Wir verhalten uns zu einem Horizont verschiedenster Möglichkeiten. Nun kommt es manchmal vor, dass dieser Horizont - wie in der aktuellen Situation - sehr weit gespannt ist: vieles kann geschehen, die Situation ist unübersichtlich, es gibt viele mögliche Szenarien, viele outcomes für eine Situation. Deshalb sorgen wir uns verstärkt. In der Sorge versuchen wir - anders gesagt -, den Möglichkeitshorizont zu verringern, wir versuchen, den vielen Möglichkeiten sozusagen vorzugreifen und sie gedanklich zu bewältigen. Wenn ich mich zum Beispiel darum sorge, was passiert, wenn es zu einer Hungersnot in Osteuropa kommt, dann spiele ich dieses Szenario gedanklich durch und mache es so begreiflich. Wenn man sich sorgt, dann versucht man also - rein metaphorisch gesprochen - etwas Weites und Offenes auf einen engeren Raum einzugrenzen um es so beherrschbar zu machen.

Es ist nicht möglich die Zukunft zu beherrschen

Nein, zumindest nicht auf Dauer. Ich kann mich zwar um die Zukunft sorgen und dann gedanklich gewisse Szenarien durchspielen ... ich kann die Zukunft damit aber nicht beherrschen. Genau das ist der springende Punkt: ich will etwas beherrschen, was sich nicht beherrschen lässt. Ich bin nämlich immer schon in das Geschehen verwickelt, ich muss mein Leben leben, auch wenn die Zukunft ungewiss ist und ich mich sorge. Ich bin immer schon betroffen - das ist das Wesen des menschliches Lebens.

Sech besser keng Suerge maachen

Ich antworte jetzt mal so: in der Antike glaubte man, dass die Götter sorglose Wesen sind. Sie sind sorglos, weil sie von der Welt abgekapselt und losgelöst sind. So meinte es zumindest der antike Philosoph Epikur, der Begründer des Epikurismus. Epikur war der Meinung, dass man keine Angst vor dem Zorn der Götter haben müsse, weil ihm zufolge die Götter gar nichts mit der Welt zu tun hatten. Die Menschen leben in der Welt, die Götter irgendwo anders. Deshalb leben die Götter ohne Sorge. Aber dann muss man sich die Frage stellen: was machen die Götter den ganzen Tag, wenn sie sorglos sind?

"Wer sorglos ist, ist von nichts betroffen"

Ja aber eben das ist der springende Punkt: was ist das für ein Leben, wo man sich um nichts sorgt? Das würde ja bedeuten, dass man letztlich von nichts betroffen ist. Wenn man darüber nachdenkt, dann ist es recht eigenartig, dass wir Glückseligkeit und Sorglosigkeit gleichsetzen. Wir sind der Meinung, dass ein glückliches Leben ein Leben ohne Sorge ist. Aber wer sorglos ist, der ist auch von nichts betroffen. Und wer von nichts betroffen ist, dem geht es auch um nichts.

Cura: Die Sorge aber darf den Menschen solange besitzen, wie er lebt.

Die Cura ist eine antike Fabel des römischen Dichters Hyginus. Cura, also die Sorge, geht über einen Fluss und erblickt einige Klumpen Lehm am Ufer. Sie beginnt, daraus den Menschen zu formen. Deshalb heißt übrigens unsere Gattung "homo" - es kommt aus dem Wort "humus", das ja die fruchtbare Erde bezeichnet. Auf jeden Fall kommt Jupiter vorbei, und die Sorge bittet ihn, diesem Klumpen Geist einzuhauchen. Gesagt getan - aber da kommt es zum Streit, denn sowohl Jupiter als auch die Sorge wollen dieses Wesen nach sich selbst benennen. Und auch Tellus, die Erde, gesellt sich zu den Streitenden, denn schließlich besteht dieses Wesen aus der Erde - sie will also auch ein Wörtchen mitzureden haben. Saturn wird herbeizitiert und schlichtet den Streit: beim Tod des Menschen erhält Jupiter dessen Geist und Tellus dessen Körper. Die Sorge aber darf den Menschen solange besitzen, wie er lebt.

Ein Ausweg ist die Fürsorge

Ja, die Sorge ist die Eigenschaft der Lebenden - erst mit dem Tod hört die Sorge auf. Also: es ist menschlich, besorgt zu sein. Problematisch wird es, wenn man sich zuviel sorgt, wenn man also der Zukunft gar keinen Platz mehr einräumt, wenn man sich verschließt. Dann wird aus der Sorge Gram. Ein Ausweg daraus ist interessanterweise eine andere Form der Sorge, nämlich die sogenannte Fürsorge, in welcher man sich nicht um sich selbst, sondern um andere sorgt. Aber das ist noch ein anderes Thema - für eine nächste Sendung.