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Seismograph

Ratgeberliteratur

Ratgeberliteratur ist meistens ganz fürchterlich - kann aber auch erfrischend sein. Zwei Beispiele von interessanten Selbsthilfeansätzen präsentiert Lukas Held im Seismograph.

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3 min

Foto: Archiv

Obwohl ich vor zwei Wochen an dieser Stelle ja ziemlich kritisch mit der ganzen Selbsthilfeszene war, die ja gut daran verdient, dass sich jedes Jahr Leute ein Datum zum Vorwand nehmen, etwas an sich ändern zu wollen, habe ich mir kürzlich etwas Selbsthilfeliteratur gekauft. Und ich gestehe: ich habe es gemocht.

"Hat sie recht?"

Das erste Buch kommt von Thomas Meyer, erschienen im Diogenes Verlag und trägt den schlichten Titel Hat sie recht? Meyer schreibt seit sieben Jahren eine Kolumne für den Schweizer Sonntagsblick, in denen er auf allerlei Fragen antwortet, die ihm seine LeserInnen zusenden. Meyer ist weder Philosoph, noch Psychologe, sondern einfach ein kluger Kopf, der - wie er es selbst ausdrückt - auch einmal unbequeme Antworten auf die Fragen seiner Leser gibt.

Das Gros der Fragen oder Aussagen betrifft die klassische Triade Liebe-Freundschaft-Sexualität, aber auch Fragen wie Wieso darf man nicht mehr Mohrenkopf sagen?, Mein Freund ist Verschwörungstheoretiker. Was tun?, Ich will meine Organe nicht spenden. Ist das ok? oder einfach Ich mag mich nicht. Meyers Antworten folgen dabei keinem psychologischem Schema, keiner Doktrin, keinem Prinzip - doch, vielleicht dem Prinzip: habe den Mut, deinem eigenen Leid ein Ende zu setzen - auch wenn das schmerzt.

Meyer hält sich dabei recht kurz, kommt direkt zur Sache, bleibt auch oft unvollständig - aber nach der Lektüre hat man immer den Eindruck, ein wenig mehr Licht ins Dunkel des Lebens geworfen zu haben. Bei der Lektüre wird zudem eine voyeuristische Lust befriedigt: man ist froh, die meisten der hier besprochenen Probleme nicht zu haben. Aber ich gestehe: ich habe das Buch natürlich zuerst mal nach eigenen Probleme durchsucht. Wenn man das eigene Probleme übrigens nicht findet, lädt der Autor seine Leser ein, ihm Fragen per Mail zuzuschicken.

"Wondrak für alle Lebenslagen"

Der zweite Selbsthilferatgeber kommt von meinem Lieblingsautor seit ich lesen kann - nämlich Janosch. Janosch hatte - was ich nicht wusste - bis 2019 im ZEITmagazin eine Kolumne, in welcher er eine Figur mit Namen Wondrak Antworten auf allerlei Lebensfragen geben lässt - auf eine sehr ironische und verspielte Art und Weise. Es geht dabei weniger um Sex und Beziehungen wie bei Meyer, sondern um existentielle Fragen wie Welche Blumen soll man verschenken?, Wie verzeiht man?,Wie bekommt man gute Ideen?, Wie findet man das Paradies? oder Soll man 10.000 Schritte am Tag gehen? - worauf Wondrak lapidar antwortet: "Wenn man nichts zu schreiten weiß, helfen auch 100 000 Schritte nichts".

Janoschs Illustrationen sind wie immer wunderschön, seine Gedanken ebenso naiv wie tiefgründig und Wondraks Antworten immer ganz unberechenbar. Der Titel Selbsthilfeliteratur wird dem, was Janosch tut, eigentlich gar nicht gerecht. Es geht gar nicht darum, große Lösungen zu geben.

Die Botschaft ist eigentlich sehr einfach: lerne, dich mit dem zu begnügen, was du schon hast; lebe dein Leben; teile es mit anderen; sei phantasievoll. Ja, es handelt sich dabei um ein philosophisches Werk im besten Sinne, weil hier Weisheit vermittelt wird. Eine naive, kindliche Weisheit, eine Weisheit die, wie Janosch selbst gesagt haben soll, mindestens 50 Jahre Unwissen braucht.

Weisheit, die aus dem Unwissen entsteht - das ist ja ein klassisches philosophisches Motiv. Im Reclam Verlag ist kürzlich unter dem Titel Wondrak für alle Lebenslagen eine Sammlung dieser Weisheiten erschienen, die ich wirklich, wirklich sehr empfehle. Wenn man ein Buch lesen soll dieses Jahr, dann das. Und natürlich noch andere, aber eben auch das.