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Seismograph

Erasmus v. Rotterdam

Vom großen Humanisten Erasmus von Rotterdam, der vor 555 Jahren geboren wurde, ist nurmehr der Name geblieben. Wer war Erasmus, was dachte er und und warum war er seiner Zeit voraus?

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4 min

Der Philosoph Lukas Held. Foto: Archiv

Vor 557, 555, 554 oder 553 Jahren (man weiß es nicht so genau) - jedenfalls in der Mitte des 15. Jahrhunderts - wurde Erasmus von Rotterdam geboren. Der berühmte Schriftsteller Stefan Zweig schrieb einmal in seinem Werk Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam über Erasmus, dass von diesem großen Gelehrten kaum mehr als der Name geblieben sei.

Eher Name als Person

Damit hat er leider recht. Wer, wie ich, in Louvain-La-Neuve studiert hat, dem dürften zum Beispiel die Auditoires Erasme ein Begriff sein. Oder das Hôpital Erasme in Brüssel. Der Ort, an dem wir das hier gerade aufnehmen, liegt an der Rue Érasme - und natürlich das Erasmus-Austausch-Programm.

Daran dürften wohl die meisten denken, wenn sie den Namen Erasmus hören. Das Erasmus-Programm ermöglicht es Studierenden ja bekanntlich, einen Teil ihres Bachelor- oder Master-Studiums an einer ausländischen Partneruniversität zu machen.

Wer davon profitiert hat weiß, was für eine tolle und bereichernde Erfahrung das ist. Tatsächlich trägt diese Namens-Patenschaft dem Denken Erasmus' auch Rechnung. Er war nicht nur ein Vielreisender und Kosmopolit, sondern auch - so meint es zumindest Stefan Zweig - der erste große Europäer insofern er die Idee eines dauerhaften Friedens durch Völkerverständigung aktiv promovierte.

Freier Meinungsaustausch, Offenheit für das Andere und Fremde bei gleichzeitiger Bescheidenheit bzgl. des Eigenen; Skepsis gegenüber dem Dogmatischen und Fanatischen, der Wille, das Gemeinsame anstatt das Trennende zu sehen: all diese Werte vertrat Erasmus von Rotterdam in seinen Schriften. Insofern ist der Name tatsächlich nicht schlecht gewählt für ein Studien-Programm, dass sich um Völkerverständigung durch kulturellen und intellektuellen Austausch bemüht.

Der Fürst der Humanisten

Erasmus war seiner Zeit (und vielleicht auch unseren) weit voraus. Erasmus ist z.B. einer der wenigen Denker seiner Zeit, der die Gleichstellung von Mann und Frau nicht als völligen Unsinn abtat. Er theorisierte auch den Pazifismus und widersetzte sich der Idee eines friedensstiftenden Kriegs. Erasmus galt bereits zu seiner Zeit als der führende Kopf der Humanisten.

So bezeichnete man Gelehrte, die sich insbesondere um die Erforschung und die Pflege antiker Kultur, Kunst und Sprache bemühten (das Griechische war damals beinahe ausgestorben) und die versuchten, das antike Ideal der Menschenbildung, der humanitas stark zu machen.

Die Humanisten waren die ersten, die sich kritisch-historisch mit den Textquellen auseinandersetzen und versuchen, deren ursprünglichen Sinn herauszuarbeiten - so auch mit der Bibel. Luthers Reformation des christlichen Glaubens entspringt dieser humanistischen Rückbesinnung auf das Wesentliche.

Subtile Kritik

Seine Kritik an den bestehenden Verhältnissen nahm sich allerdings etwas subtiler aus. Das erkennt man am besten in seinem wohl berühmtesten Werk, dem Lob der Torheit. Hier tritt die personifizierte Torheit oder Narrheit auf und hält ein Loblied - natürlich auf sich selbst.

Sie erst mache das Leben wirklich erträglich, wer sich ihr verschriebe, lebe ein glücklicheres Leben, als derjenige, der sich dem Ernsten widme, denn so meint sie: "nur im Unverstand ist das Leben angenehm". "Schmeichelei, Scherz, Gutmütigkeit, Selbsttäuschung und Verstellung" seien der Kitt unseres sozialen Gefüges, ob nun in der Partnerschaft, der Freundschaft oder in der Öffentlichkeit.

Die Torheit sporne den Dichter dazu an, Wörter zu reimen, den Schauspieler, sich zu verstellen und lächerlich zu machen, den Politiker dazu pathetische Reden zu schwingen - und uns, das Publikum dazu, das Ganze ernst zu nehmen. Aber erst ihre Freundin, die Eigenliebe, reize die Menschen zu wirklich großen Taten: "Es muss jeder ohne Ausnahme sich selbst schmeicheln und sein eigenes Lob singen, ehe er anderen genehm ist. [...] Die Eigenliebe sorgt dafür, dass keiner sich seiner Gestalt, seiner Veranlagung, seiner Herkunft, seiner Lage, seiner Lebensweise und seiner Heimat schämt."

Unwissend lebt es sich einfacher

In diesem Werk kommt keiner gut weg - und gerade das ist das ist der kleinste gemeinsame Nenner, das, was alle Menschen miteinander vereint. Wir sind allemal gleichermaßen getrieben von Eitelkeit, vom Aberglauben, Selbsttäuschung, Ruhmsucht und Unverschämtheit. Das Universale des Menschen liegt offensichtlich in dessen Torheit.

Das muss - wie das Beispiel des Sokrates zeigt - nicht unbedingt schlecht sein. Es liegt viel Weisheit darin, sich seiner eigenen Schwäche bewusst zu werden, aber es ist schwer, sie sich einzugestehen. Da halten wir es doch lieber mit der Torheit, wenn sie sagt: "meine Schützlinge, die merken nichts oder denken nichts, die vergessen alles Schwere und erhoffen alles Gute, und reichliche Freuden versüßen ihr Dasein." Unwissend lebt es sich einfacher.