Die Brüder Fournier, das sind Iason und Vincent. Der ältere, kräftig und ungestüm, der jüngere zierlich und sensibel. Die beiden ungleichen Brüder wachsen in den Siebzigern in einem imaginären Dorf nördlich von Brüssel auf.
In Envie, wie Wittekindt das Dorf getauft hat, wird viel geklatscht,
Die Mutter leitet eine Confiserie und investiert in Immobilien. Der Vater ist im Leben der Jungen kaum präsent, er spielt in Wittekindts Roman nur eine Statistenrolle.
Iason und Vincent sind wie "Benzin und Feuer". Vincents Feinde sind auch Iasons Feinde. Der kleine Bruder wiederum hilft dem älteren öfters aus der Patsche.
"Er konnte gut lügen und weinen, wenn es drauf ankam", heißt es im Text.
Iason neigt zu Gewaltausbrüchen, er prügelt sich häufig mit Gleichaltrigen -
Zwei Brüder, zwei Todesfälle, etliche Liebschaften und viele Feindschaften
Die Vorkommnisse häufen sich. Mit knapp 16 landet Iason in einem Heim für Schwererziehbare. Kurz zuvor ist seine Ex-Freundin Pauline zu Tode gekommen.
Zwei Brüder, zwei Todesfälle, etliche Liebschaften und viele Feindschaften - aus diesen Zutaten mischt Matthias Wittekindt in "Die Brüder Fournier" einen explosiven Cocktail, der den Leser auf der Suche nach dem Täter und dem Motiv zu seinem Verbündeten macht.
Doch wer hier einen Krimi nach dem Motto "Who-done-it" erwartet, wird enttäuscht. Denn der Roman ist alles andere als ein klassischer Krimi. Das beginnt bereits damit, wie Wittekindt sich dem Thema nähert. Er präsentiert dem Leser Bilder von der dörflichen Gemeinschaft, von der Familie und den staatlichen Institutionen, erörtert den Strukturwandel in der Region mit derselben Nüchternheit wie das Innenleben seines Protagonisten Iason: Er zoomt ran und geht wieder auf Distanz.
Facettenreiche Welt
Wenn er den Scheinwerfer auf Iasons Mutter richtet, klingt das u.a. so:
"Er war ihr Sohn. Ihr Liebster. Für ihn, für wen sonst, tat sie das alles. Zuletzt saß Emely Fournier aufrecht am Tisch. Die Augen klar. Weit geöffnet. Und so direkt auf den Betrachter gerichtet, als würden sie eine Frage stellen, deren Antwort bereits bekannt ist. Beide Fäuste lagen auf der Tischplatte. Zwischen den Fäusten ein leeres Glas. Rechts, am Rand des Bildes, eine halb gefüllte Flasche Birnenschnaps. Das Licht matt. Von links einfallend. Trüb, beinahe mehlig."
Der Roman setzt sich aus Szenen zusammen - eine Technik, die Wittekindt als Theater- und Hörspielautor erfolgreich erprobt hat und in seinen Romanen zur Perfektion treibt.