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Matthias Wittekindt - "Die Brüder Fournier"

Alles andere als ein klassischer Krimi

Der Autor Matthias Wittekindt ist hierzulande kein Unbekannter, 2005 wurde sein Drama "Freigang" am Théâtre National aufgeführt. Inzwischen widmet Wittekindt sich mit viel Erfolg dem Schreiben von Kriminalromanen. Im vergangenen Jahr belegte er mit "Die Tankstelle von Courcelles" den zweiten Platz beim Deutschen Krimi Preis.

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3 min

Die Brüder Fournier, das sind Iason und Vincent. Der ältere, kräftig und ungestüm, der jüngere zierlich und sensibel. Die beiden ungleichen Brüder wachsen in den Siebzigern in einem imaginären Dorf nördlich von Brüssel auf.

In Envie, wie Wittekindt das Dorf getauft hat, wird viel geklatscht, es gibt viele Neider und Begierden und so mancher hat etwas zu verbergen. Die Fournier-Brüder sind sich größtenteils selbst überlassen.

Die Mutter leitet eine Confiserie und investiert in Immobilien. Der Vater ist im Leben der Jungen kaum präsent, er spielt in Wittekindts Roman nur eine Statistenrolle.

Iason und Vincent sind wie "Benzin und Feuer". Vincents Feinde sind auch Iasons Feinde. Der kleine Bruder wiederum hilft dem älteren öfters aus der Patsche.

"Er konnte gut lügen und weinen, wenn es drauf ankam", heißt es im Text.

Iason neigt zu Gewaltausbrüchen, er prügelt sich häufig mit Gleichaltrigen - und wird geprügelt, mal vom Lehrer und immer wieder von seiner Mutter.

Zwei Brüder, zwei Todesfälle, etliche Liebschaften und viele Feindschaften

Die Vorkommnisse häufen sich. Mit knapp 16 landet Iason in einem Heim für Schwererziehbare. Kurz zuvor ist seine Ex-Freundin Pauline zu Tode gekommen. Als er wieder rauskommt, findet man den Peiniger seines Bruders tot auf.

Zwei Brüder, zwei Todesfälle, etliche Liebschaften und viele Feindschaften - aus diesen Zutaten mischt Matthias Wittekindt in "Die Brüder Fournier" einen explosiven Cocktail, der den Leser auf der Suche nach dem Täter und dem Motiv zu seinem Verbündeten macht.

Doch wer hier einen Krimi nach dem Motto "Who-done-it" erwartet, wird enttäuscht. Denn der Roman ist alles andere als ein klassischer Krimi. Das beginnt bereits damit, wie Wittekindt sich dem Thema nähert. Er präsentiert dem Leser Bilder von der dörflichen Gemeinschaft, von der Familie und den staatlichen Institutionen, erörtert den Strukturwandel in der Region mit derselben Nüchternheit wie das Innenleben seines Protagonisten Iason: Er zoomt ran und geht wieder auf Distanz.

Facettenreiche Welt

Die Welt, in die man hineinschaut, hat viele Facetten, sie werden kurz beleuchtet, verschwinden im Off und geraten dann wieder ins Rampenlicht.

Wenn er den Scheinwerfer auf Iasons Mutter richtet, klingt das u.a. so:

"Er war ihr Sohn. Ihr Liebster. Für ihn, für wen sonst, tat sie das alles. Zuletzt saß Emely Fournier aufrecht am Tisch. Die Augen klar. Weit geöffnet. Und so direkt auf den Betrachter gerichtet, als würden sie eine Frage stellen, deren Antwort bereits bekannt ist. Beide Fäuste lagen auf der Tischplatte. Zwischen den Fäusten ein leeres Glas. Rechts, am Rand des Bildes, eine halb gefüllte Flasche Birnenschnaps. Das Licht matt. Von links einfallend. Trüb, beinahe mehlig."

Der Roman setzt sich aus Szenen zusammen - eine Technik, die Wittekindt als Theater- und Hörspielautor erfolgreich erprobt hat und in seinen Romanen zur Perfektion treibt. Diese sehr eigenwillige, spröde Art des Erzählens hat etwas sehr Unmittelbares und entwickelt einen Sog, der viel stärker ist als der Nervenkitzel, der von den Todesfällen ausgeht. Die dienen in "Die Brüder Fournier" ohnehin nur als Aufhänger für einen Entwicklungsroman.